Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Aussage ganz offensichtlich nicht einverstanden. Er ballte die Faust. »Das war kein Fehler. Aber offensichtlich ist die Zeit noch nicht reif für neue Gedanken. Dabei wird nichts auf dieser Welt besser, wenn man sich immer nur an die Regeln hält.«
Anne hörte nicht mehr zu. Sie war viel zu glücklich über den Satz mit der Heirat. Dachten ihre Eltern wirklich schon so weit? Möglichst unauffällig musterte sie den Gefährten ihrer Kindheit. Er war vier Jahre älter als sie selber. Ein ausgewachsener Mann mit breitem Kreuz, kastanienbraunen Locken, die ihm fast bis auf die Schultern fielen, und einem ständigen Frohsinn in den dunklen Augen. Er sah gut aus – nur eine Narbe, die eine Augenbraue teilte, gab ihm ein etwas verwegenes Aussehen. Die Erinnerung an einen Unfall, den er beim Spielen mit jungen Pferden davongetragen hatte. Heute sah das harmlos aus, vor einigen Jahren hatten seine Eltern ein paar Stunden lang gefürchtet, dass er sein Augenlicht verlieren könnte. Anne erinnerte sich noch lebhaft an die Aufregung.
Er schien ihre Blicke auf der Haut zu spüren, denn mit einem Mal sah auch er zur Seite und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Seine dunklen Augen schienen dabei goldene Funken zu sprühen. Während sie ihre Blicke schicklich wieder auf ihr Essen richtete, musste sie lächeln. Das Gespräch ihrer Väter rauschte an ihr vorbei. Es drehte sich sowieso immer nur um Pferde, das Zuchtbuch und den Zuchtverband – und ob das, was sie taten, dem Wohl der Vollblüter diente oder allein der Selbstherrlichkeit der Vorstände. Nichts Neues, nicht wert, dass man sich wirklich darum kümmerte. Vor allem, weil der hochbeinige Hengst Sunrise wirklich ein ganz besonderes Tier war. Sie liebte es, ihn in seinem Stall zu besuchen und das golden schimmernde Fell zu streicheln.
Nach dem Essen zogen sich die Männer – und dazu zählte auch Gregory – in das Herrenzimmer auf eine Zigarre zurück. Die Frauen blieben unter sich, die beiden Mütter schenkten sich einen Likör in geschliffene kleine Gläser. Mistress Mallory musterte Anne. »Die kleine Lady ist allmählich alt genug, dass wir ihrer Freundschaft mit unserem Sohn ein wenig mehr Festigkeit verleihen. Meinst du nicht, Elizabeth?«
Annes Mutter lächelte. »Ein Jahr würde ich Anne doch noch gerne geben. Wenn sie erst einmal einem eigenen Haushalt vorstehen muss, dann trägt sie so viel Verantwortung. Davor würde ich sie gerne noch etwas bewahren.«
»Aber Mutter! Ich würde Gregory lieber heute als morgen heiraten!« Anne war empört. Was redete ihre Mutter da nur vom Warten und von Verantwortung? »Ich bin mir sicher, und ich sehe keinen Grund, warum ich noch ein weiteres Jahr hierbleiben soll!«
Nachsichtig schüttelte Elizabeth den Kopf. »In diesem Jahr kann ich dir alles über Haushaltsführung beibringen, was du wissen musst, mein Kind. Dir mag das im Moment nicht wichtig erscheinen. Aber Gregory kann sich eines Tages glücklich schätzen, wenn er eine Frau hat, die nicht nur im Sattel eine gute Figur macht, sondern auch in der Küche und an der Spitze eines großen Haushalts weiß, was sie tut.« Sie wandte sich an Mistress Mallory. »Oder wie siehst du das, liebe Victoria?«
Gregorys Mutter nickte und lächelte Anne beruhigend zu. »Liebes Kind, ich kann deine Enttäuschung verstehen. Ich konnte es damals auch kaum erwarten, Gregorys Vater endlich zu heiraten. Aber deine Mutter hat recht. Du und unser Gregory, ihr seht euch ja regelmäßig – und in einem halben Jahr können wir vielleicht auch Verlobung feiern. Wir warten ab, bis deine Erziehung vollendet ist. Dann habt ihr beide immer noch ein langes gemeinsames Leben voller Glück vor euch.«
Damit hatten die beiden Mütter dieses Thema abgehakt, sie wandten sich wieder dem neuesten Klatsch zu. Victoria Mallory war eben erst aus London zurückgekehrt, wo sie eine Woche verbracht hatte. Anne lehnte sich zurück und hörte gar nicht mehr zu. Ein ganzes weiteres Jahr, bis sie ihren Gregory endlich heiraten durfte. Die Enttäuschung kämpfte in ihrem Herzen mit der Zufriedenheit, dass endlich auch ihre Eltern sich zu dem Thema geäußert hatten. Eine Hochzeit war also das Ziel. Wenn das nicht ein guter Grund für Freude war. Sie erhob sich, knickste und fragte: »Darf ich mich jetzt zurückziehen? Vielleicht möchte Gregory unsere neuen Jährlinge sehen? Die würde ich ihm gerne zeigen.«
Die beiden älteren Frauen nickten. »Geh nur, wir wissen ja, dass es dich langweilt, wenn wir über
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