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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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besser fernhalten sollte.
    Es dauerte nur wenige Minuten, bis auch Amiri vom Strand zurückkehrte. »Anne hat es richtig gesehen. Noch halten sie sich in der nächsten Bucht verborgen – aber es kann keinen Zweifel daran geben, dass sie uns angreifen werden. Das eine Schiff ist komplett mit Soldaten besetzt. Es sieht aus, als ob sie viele Gewehre dabeihaben – sehr, sehr große.«
    Anne stöhnte auf. Ja. Und diese großen Gewehre wurden in der Regel Kanonen genannt. Aber das würde dieser Stamm erst morgen Abend wissen …
    Oaoiti nickte, als er Amiris Wort hörte. »Heute Abend tanzen wir den Haka. Dann sind wir bereit. Wir werden den Engländern zeigen, wie Maori kämpfen können!«
    Alle nickten, und die Menge zerstreute sich schnell. Anne sah ihnen hinterher und schickte ein Stoßgebet in den Himmel, dass die englischen Soldaten keinen Angriff am Nachmittag wagten. Denn jetzt war zwar jeder mit seinen Kampfvorbereitungen beschäftigt – aber das Pa lag völlig schutzlos in der Nachmittagssonne.
    Erst später bemerkte Anne, dass ständig Beobachter zwischen dem Strand und der Hütte von Oaoiti hin und her rannten. Offensichtlich hielt er sich doch über das Geschehen auf den englischen Schiffen auf dem Laufenden. Bisher hatte er Glück – es geschah nichts. Paddy-Jay und seine Männer hatten sich auf dem Versammlungsplatz in den Schatten gesetzt und nahmen an den Vorbereitungen nicht teil. Sie warteten wohl auf David Wilcox, der ihnen das Geld für Anne bringen würde. Idioten vom Scheitel bis zur Sohle.
    Mit der Dämmerung trafen sich die Männer des Stammes vor dem Marae. Anne hatte den Haka, mit dem sie sich auf den Kampf vorbereiteten, schon öfter gesehen – immer wieder war sie von der Gewalt in dem Gesang und den furchteinflößenden Gestalten beeindruckt. Die Männer waren nackt bis auf einen einfachen Bastgürtel. Ihre Körper glänzten im Schein der letzten Sonnenstrahlen, als der Erste sich unter die Männer mischte und den Gesang anstimmte.
    Tiki tonu mai
    Tiki tonu mai
    Ki ahau e noho nei
    Tiki tonu mai I a hei ha!
    Ihre Stimmen hallten dunkel und bedrohlich bis hinunter zum Strand. Anne war klar, dass die Soldaten in diesem Augenblick wussten, dass sie keinen Überraschungsangriff mehr starten konnten. Diese Klänge würde jeder Mensch auf der Welt als Kriegsgesänge verstehen, diese Sprache war weltweit gleich.
    Die älteren Krieger deuteten in diesem Tanz an, dass sie jeden Einzelnen der jüngeren Krieger genau untersuchten – und dann auch den Tanz selber beobachteten. Anne wusste inzwischen, dass es auf die absolute Harmonie in dem Tanz ankam. Die Männer stampften, ließen immer wieder ihre Augen rollen und streckten ihre Zunge raus. Sie führten mit einer mehr als eindeutigen Bewegung ihre Hand an der Kehle vorbei und zeigten, was sie mit ihren Feinden vorhatten.
    Und dazu immer wieder der Gesang. Anne wusste schon lange, was er bedeutete:
    Komm nur her zu mir!
    Komm nur her zu mir!
    Trau dich nur.
    Komm nur her zu mir!
    Nach dem Tanz schworen die Männer ihre Treue zu Tumatauenga, dem Gott des Krieges. Einem bösen und rachsüchtigen Gott, wie Anne gelernt hatte. Maorikrieger machten keine Gefangenen, sondern töteten alle, die sie erwischen konnten – ihre Angst vor einem Rachefeldzug war viel zu groß. Normalerweise griffen sie immer in der Dämmerung an, tauchten wie Geister aus dem Busch auf, schlugen zu und verschwanden wieder. Lange Kriege waren nicht ihre Welt.
    Dieses Mal war alles anders – die Schiffe draußen in der Bucht konnte niemand überraschen. Sie mussten sich auf einen Angriff direkt auf das Pa vorbereiten und hatten nur eine ungefähre Ahnung, wie stark der Feind sein würde. Anne schluckte. Was, wenn sie beschlossen, dass man sie jetzt opfern könnte. Immerhin schien ihre Anwesenheit die Engländer nicht an einem Angriff zu hindern. Musste sie sich jetzt vorsehen und im Busch verschwinden?
    Unschlüssig sah Anne auf ihren gewaltigen Bauch hinunter. Das kleine Wesen darin rührte sich nicht. Hielt es vor dem drohenden Unglück still – oder schlief es einfach nur. Wer würde ihr helfen, wenn die Geburt nahe kam? Zu viele Entscheidungen auf einmal …
    »Iss etwas!« Lotty tauchte neben ihr auf und streckte ihr eine Schüssel mit Gemüse, Kumara und etwas Fleisch entgegen. »Wir haben keine Ahnung, wann wir uns wieder ausruhen können, wir sollten uns lieber stärken. Das habe ich im Busch gelernt: Wenn es etwas zu essen gibt, greif zu. Keiner weiß, wann der

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