Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
gehen wollte – dann entspannte sie sich.
»Ach, du bist es«, murmelte sie und wischte sich rasch eine Träne aus dem Augenwinkel. Offensichtlich hatte sie gerade geweint. »Was willst du?«
Gregory musste den Wunsch unterdrücken, sie zu umarmen. »Ich wollte dich nicht alleine mit diesem Mann nach Kororareka laufen lassen. Mick ist kein guter Mann …« Er sah sich suchend um – er wollte sich schließlich nicht hinterrücks von seinem ehemaligen Begleiter abstechen lassen. Und inzwischen traute er diesem Mann wirklich alles zu.
»Ich weiß«, nickte Sarah. Sie deutete in die Richtung von ein paar Bäumen. »Ich habe ihn erschlagen. Letzte Nacht.«
Unwillkürlich machte Gregory einen Schritt nach hinten. »Er… erschlagen?« In seiner Welt konnten Frauen so etwas nicht. Sie erduldeten einfach alles, neigten den Kopf und hofften darauf, dass man sie verschonte. »Warum?«
»Er hat es verdient.« Offensichtlich sah Sarah keine Notwendigkeit, ihr Tun ausführlicher zu erklären. Sie wandte sich wieder ihrem Feuer zu und stocherte weiter in der Glut. Gregory erkannte einige Kumaras und Päckchen aus Algen, die sie an die Glut gelegt hatte. Sarah benötigte ganz bestimmt keinen Ernährer in dieser Wildnis.
»Willst du mir sagen, wie?«, fragte Gregory vorsichtig nach.
»Er hat sich mir genähert. So wie kein Mann das mit einer Frau tun sollte, die nicht seine ist.« Sie nickte noch einmal trotzig, um ihre Worte zu bekräftigen. »Ich habe einen Stein genommen und ihm auf den Kopf geschlagen. Ich wollte ihn nur fern von mir halten – aber er brach zusammen und lag dann im Mondschein mit seinen offenen Augen und seinem nackten Speer vor mir. Ich habe ihn liegen gelassen und mir hier einfach ein Feuer gemacht und etwas zu essen gesammelt. Ich habe gehofft, ich würde eine Idee haben, was ich jetzt als Nächstes tun soll – aber mir fällt nichts mehr ein … Ich gehöre nicht in diese Welt. Und in die der Weißen auch nicht.« Wieder begannen die Tränen zu fließen.
»Nun, nicht alle Weißen haben so unredliche Absichten wie Mick. Er wollte dich nach Kororareka bringen – aber das ist eine Stadt, in die wirklich keine Frau gehen sollte, die etwas auf ihre Ehre hält.« Er zögerte, war sich nicht sicher, was er Sarah darüber erzählen sollte. Aber dann redete er einfach weiter. »In diesem Ort verkaufen Frauen ihren Körper an Männer – für ein paar Stunden oder ein paar Tage. Nicht alle Frauen sind freiwillig dort, so manche wird gefangen gehalten und kann sich nicht gegen die Männer wehren. Und die Männer sind üble Gesellen …«
»Und du bist anders?« Sie sah ihn unter ihren tränennassen Wimpern an. In ihrer hellen Haut schienen die Sommersprossen regelrecht zu leuchten, und das Blau ihrer Augen brachte ihn für einen Augenblick fast zum Schweigen. Er konnte nur nicken. »Ja. Ich mache mir nichts aus käuflicher Liebe. Ich bin sogar romantisch genug, an die eine wahre Liebe zu glauben, die einfach alles überdauert.«
Sie fiel ihm um den Hals und schluchzte jetzt hemmungslos. »Ich habe gedacht, Mick wäre so ein Mann. Jemand, der mir die Welt der Weißen zeigt und mir beibringt, wie ich mich darin zurechtfinden kann. Der vielleicht auch Liebe für mich hat und es nicht schlimm findet, dass ich in meinem Leben noch nie Schuhe getragen habe.«
Unbeholfen klopfte Gregory ihr auf den Rücken, so wie er es bei Müttern und ihren Säuglingen schon öfter gesehen hatte. Und tatsächlich – ihr Atem beruhigte sich etwas und sie schluchzte weniger heftig. Trotzdem lockerte sie den Griff ihrer Arme um seinen Hals kein bisschen. Vorsichtig versuchte Gregory sich zu befreien – aber sie drückte ihn nur umso fester an sich. Wie eine Ertrinkende in einer Welt, die keinen Halt mehr bietet. Irrte er sich, oder war das ein Kuss, den sie ihm in die Halsbeuge drückte? Verwirrt wich er zurück.
Sarah sah ihm in die Augen und versuchte ein Lächeln. »Du musst keine Angst haben. Dich bringe ich nicht um.«
»Beruhigend, da kann ich mich entspa …«, versuchte Gregory einen Scherz. Der allerdings unterging, da Sarah ihre Arme wieder um ihn schlang und ihm einen Kuss mitten auf den Mund drückte. Erst noch keusch, mit geschlossenen Lippen – dann spürte er, wie sie sich ihm öffnete und ihn mit aller Verzweiflung und Wildheit küsste, die in ihr wohnte. Er erwiderte den Kuss erst vorsichtig, dann mit immer größer werdender Leidenschaft.
Er hatte seine Zeit als Matrose nicht als Mönch
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