Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
wer da mit ihm redete.
»Und deine Anne ist ja ein nettes Mädchen gewesen. Ich musste erst etwas strenger werden, nachdem sie versucht hatte wegzulaufen. Das dumme Ding. Irgendwo in Malaysien rennt sie los in Richtung Dschungel. Sie hätte ihr Leben verlieren können, wenn ich sie nicht so schnell wieder eingefangen hätte. Was will ein Mädchen wie sie denn unter lauter Wilden, deren Sprache sie nicht versteht?«
»Sie ist weggelaufen? Hat sie denn gewusst, was sie hier erwartet?« Gregory schnürte es den Hals zu.
Ardroy spürte, dass er jetzt Oberwasser hatte. Er richtete sich auf. »Ja, einer der Matrosen hatte wohl Mitleid mit ihr und hat ihr erklärt, dass sie am Ende unserer Reise auf keinen Fall als meine Frau endet – sondern nur als eines von Jamesons Mädchen im größten Puff der Südhalbkugel. Dummkopf. Er hat ihr damit nur Angst gemacht – und an ihrem Schicksal hat sich auch nichts geändert. Ich finde es leichter für die Mädchen, wenn sie erst in letzter Sekunde erfahren, welches Leben auf sie wartet.«
Gregory spürte, wie in ihm wieder der Zorn aufstieg. Dieser Mann redete von Frauen wie von widerspenstigen Pferden, die man sich irgendwie gefügig machen musste. Er trat aus dem Schatten und baute sich vor dem Kapitän auf. »Wahrscheinlich hast du nur Angst, dass es ihnen den Appetit verschlagen könnte, oder? Für zu magere Hühnchen zahlt dein Freund Jameson doch wahrscheinlich auch nichts, sehe ich das richtig?«
»Klar. Sie dürfen weder zu dick noch zu dünn sein. Diese Anne war ja sowieso so dürr. Und für meinen Geschmack war sie auch viel zu groß. Wer mag schon eine Frau, zu der er ständig hochblicken muss? Obwohl – wenn sie auf dem Rücken liegen, kann ich es eigentlich schon leiden.« Er lachte über seinen Witz, den er wahrscheinlich für besonders gelungen hielt.
Ohne eine weitere Sekunde nachzudenken, holte Gregory aus und schlug Ardroy mit der Faust ins Gesicht. Der betrunkene Kapitän taumelte ein paar Schritte nach hinten und fasste sich überrascht ans Kinn.
»Ach so – der feine Herr will also kämpfen!«, stellte er fest. Seine Stimme klang dabei eher belustigt. Dann zuckte seine Hand für seinen Zustand erstaunlich behände an das Messer, das er an seinem Gürtel trug. Sekunden später blinkte die Klinge im Mondschein.
Gregory fasste erschrocken an seine Seite. Er trug für den heutigen Landgang nicht einmal eine Pistole. Er sah sich suchend nach irgendeinem Gegenstand um, der für einen Kampf geeignet war – Gregory hatte inzwischen genug gelernt, um zu wissen, dass die meisten Seeleute mit dem Messer gut umgehen konnten und es keineswegs nur für das Spleißen und Kappen von Tauen verwendeten. Sein Blick fiel auf ein Stück Treibholz, das gut einen Meter lang war und sich an einem Ende in einer Gabelung verdickte. Er griff zu. Es war überraschend schwer, noch vollgesogen vom Meerwasser, in dem es wahrscheinlich schon einige Zeit gelegen hatte. Gregory schickte ein Stoßgebet an wen auch immer, dass dieses Holz in der Zeit nicht auch noch morsch geworden war.
Noch während er es anhob, schnellte Ardroy nach vorne, schlitzte Gregory den Ärmel seines Hemdes auf und verletzte dabei die Haut mit einem langen Kratzer. Erschrocken ließ Gregory den Ast sinken und griff sich an die Wunde – da sprang Ardroy erneut nach vorne und versenkte sein Messer tief in Gregorys linkem Oberschenkel.
Mit einem Schrei sank Gregory in die Knie. Im Licht des Mondes sah er, wie Ardroy sofort zu einer weiteren Attacke ansetzte. Schlagartig wurde ihm klar, dass sein Leben auf dem Spiel stand. Niemand würde ihm in diesem gottlosen Kaff beistehen – und Ardroy konnte nach der Tat einfach Segel setzen, verschwinden und ihn sterbend oder tot hier am Strand zurücklassen. Er musste sich wehren, egal, wie sehr ihn das verletzte Bein schmerzte.
Entschlossen riss er das Stück Holz nach oben, schwang es über seinem Kopf und schleuderte es gegen Ardroys Körper. Der Rothaarige wich zurück, um dann einen noch wütenderen Angriff auf den knienden Gregory zu machen. Der erhob sich in letzter Sekunde, wich zur Seite und schmetterte seinen Knüppel auf Ardroys Genick.
Ohne einen weiteren Ton von sich zu geben, sank Ardroy in sich zusammen und blieb liegen.
Gregory ließ sich wieder auf die Knie fallen und atmete schwer. Er musste weg. Schnell. Bevor dieser tollwütige, besoffene Kerl sich wieder erhob und mit seinem spitzen Messer auf ihn losging. Ardroy würde nicht aufhören, bis er,
Weitere Kostenlose Bücher