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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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hinten. »Pass auf !«, brüllte Anne gegen den Sturm.
    Zu spät. Das Tau legte sich fest um Davids Hals, der Matrose zerrte Wilcox in Richtung des Mastes und band ihn einfach mit der Halsschlinge daran fest.
    Zu ihrem Entsetzen sah Anne, wie sich das führerlose Ruder wild drehte. Das Schiff ächzte und fing an, sich quer zum Wind zu stellen. Anne war sofort klar, dass der nächste Windstoß oder die nächste große Welle das Schiff zum Kentern bringen würde. »Das Ruder!«, schrie sie. »Ihr müsst an das Ruder, ihr Holzköpfe!«
    Ein Arm legte sich von hinten um ihre Taille. »Meine Kompassnadel hat gerade nur ein Ziel«, raunte ihr einer der Männer ins Ohr.
    Anne wand sich aus seinem Griff und fuhr herum. »Deine Kompassnadel ist bald Fischfutter, wenn ihr nicht endlich anfangt, das Ruder in die Hand zu nehmen!«
    Der Blick des Mannes wanderte zum Ruder. Er schüttelte den Kopf, so als ob erst diese Bewegung sein Gehirn arbeiten ließ. »Keine Ahnung, wer jetzt Kapitän ist … Paddy-Jay vielleicht?«
    »Das ist ziemlich egal, wenn ihr nicht umgehend das Schiff wieder in den Wind stellt und die Segel refft! Ein Wrack braucht keinen Kapitän!«
    Als ob es ihr recht geben wollte, neigte sich das Schiff mit der nächsten Welle bedrohlich zur Seite. Fast erschien es Anne, als könnte sie mit der Hand ins Wasser greifen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie David sich verzweifelt am Mast festkrallte. Wenn er jetzt den Boden unter den Füßen verlor, würde ihn das Tau erdrosseln.
    Sie hatten Glück. Der Wind ließ für einen Augenblick nach, und das Schiff richtete sich ächzend wieder auf. Es stand inzwischen komplett quer in den Wellen, der nächste hohe Brecher würde es unweigerlich zum Kentern bringen. Anne wandte sich halb um, holte mit ihrem Bein weit aus und trat dem Matrosen mit aller Kraft gegen das Schienbein. Insgeheim beglückwünschte sie sich, dass sie heute feste Lederschuhe trug und nicht wie in ihren Zeiten in Kororareka barfuß herumrannte. Der Mann stieß einen Schmerzensschrei aus und wich einen Schritt nach hinten.
    »Du Biest«, murmelte er eher verwundert als verärgert. »Dabei macht es doch einer wie dir nichts aus, wenn man sie mal ein bisschen anpackt. Ist doch so.«
    »Es ist vor allem unwichtig!«, schrie Anne ihn an. »Wichtig ist jetzt, durch diesen Sturm zu kommen, ohne das Schiff zu verlieren.« Sie nutzte ihre Freiheit, um die wenigen Schritte zum Ruder zu rennen und wie wild daran zu drehen. Unendlich langsam gehorchte ihr das Schiff. Zentimeter um Zentimeter drehte es sich wieder mit dem Bug gegen die Wellen. Unhörbar für alle anderen atmete Anne aus. Mit ein bisschen Glück mussten sie heute doch nicht schwimmen.
    Das Ruder fest im Griff, sah sie sich vorsichtig um. Wahrscheinlich war der schlimmste Moment dieses Southerly bereits vorbei. Sie musste sich jetzt dringend um die Meuterei kümmern. Der Matrose, der eben noch seinen Herrn verteidigt hatte, schlich sich gerade von hinten an den Mast heran. Mit hastigen Bewegungen versuchte er, das Tau um Davids Hals zu lösen. Der Schwarzhaarige sah die kleine Bewegung, ahnte die Absicht und war in drei oder vier Schritten quer über das Deck bei Wilcox. Das Walmesser blitzte noch einmal auf – und der Mann, der David zu Hilfe geeilt war, brach, ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, zusammen.
    Der Schwarzhaarige griff nach dem Tau, das immer noch um Davids Hals lag, und riss daran. Ohne nachzudenken, ließ Anne das Ruder fahren, griff nach einem Haken, mit dem sonst die geschlachteten Wale längsseits an die Boote gezogen wurden, und zog dem Matrosen das Stück Eisen über den Kopf. Er schien einen Schädel aus Metall zu haben, denn er sackte nicht zusammen, sondern drehte sich nur mit einem verwunderten Ausdruck im Gesicht zu ihr um. »Wer …?«, wollte er wissen und sah sich suchend um. Offensichtlich konnte er sich nicht vorstellen, dass ihm eine Frau solche Schmerzen zugefügt hatte.
    »Ich!«, verkündete Anne, hob den Haken und schlug erneut zu. Gleichzeitig spürte sie, wie das Schiff wieder zurück in die alte Position glitt. Das Ufer war inzwischen bedrohlich nahe gekommen. Der Schwarzhaarige verlor den Boden unter den Füßen, als ihn der Haken traf. Doch auch Anne schwankte, als das Boot mit einem schabenden Geräusch auf einen Felsen unter der Wasseroberfläche traf. Mit der nächsten Welle legte es sich bedrohlich auf die Seite, hielt noch einen Augenblick inne – um dann mit einem weiteren Brecher

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