Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
von dem Gold, das David an seinem Gürtel unter dem feuchten Mantel trug. Davon konnte er in Kororareka sicher einige Gewehre kaufen – aber wie lange dauerte die Rückreise zu Land? Auf dem Schiff waren sie nur drei Tage hierher unterwegs gewesen. Das war allerdings mit günstigen Winden und ruhiger See geschehen. Sie musste sich eingestehen, dass sie keine Ahnung hatte, wie viele Meilen sie in dieser Zeit wohl zurückgelegt hatten.
Wilcox war zu dem gleichen Schluss gekommen wie sie. »Dann muss ich nach Kororareka. Gewehre kaufen. Das dauert aber ein paar Wochen«, erklärte er. Er deutete auf Anne. »Und sie muss mit mir kommen.«
Anne spürte, wie ihr Hals eng wurde. Sie sollte zurück in dieses Höllenkaff ? Wenn Jameson sie sah, würde er sie umbringen. Und sei es nur, damit seine anderen Mädchen nie wieder von einer Flucht träumten. Und auch Wilcox war seines Lebens nicht sicher. Es musste einfach einen anderen Ausweg als eine Rückkehr nach Kororareka geben.
Oaoiti schüttelte zu Wilcox’ Vorschlag den Kopf. »Die Frau bleibt hier. Sonst kommst du nicht wieder. Bin nicht dumm.« Seine Stimme klang merkwürdig weich und freundlich für einen so heftig tätowierten Krieger. Aber er ließ trotzdem keinen Zweifel daran, dass er nicht einmal daran dachte, Anne mit ihrem Mann ziehen zu lassen.
Wilcox breitete bedauernd die Arme aus. »Dann kann ich nicht gehen. Ich lasse meine Frau nicht alleine in dieser Wildnis. Sonst komme ich wieder mit meinen Gewehren, und Anne ist nicht mehr hier.«
»Wir passen auf. Ihr passiert nichts.« Oaoiti nickte noch einmal zur Bekräftigung seiner Worte.
Panisch sah Anne sich um. Hatte sie wirklich nur die Wahl zwischen dieser Wildnis und Kororareka? Sie sah ein paar einfache Hütten, ein größerer Holzbau mit Schnitzereien – und jede Menge Wald und Busch darum herum. Das Dorf sah nicht einmal schrecklich aus. Es war nur unvorstellbar, hier ein paar Wochen oder gar Monate zu verbringen. Überall liefen dunkelhäutige Männer herum, trugen Tätowierungen und Speere – einige von ihnen sogar Feuerwaffen. Ohne darüber nachzudenken, deutete Anne darauf. »Woher habt ihr denn die hier?«, wollte sie wissen.
Oaoiti schüttelte nur abwehrend den Kopf. Er wollte ihre Frage nicht beantworten. Anne gestand sich ein, dass sie sich in den zwei Jahren in Kororareka keinen Deut um die Politik der Weißen gegenüber den Maori gekümmert hatte. Ihr eigenes Unglück hatte sie sehr viel mehr beschäftigt als ein paar dunkelhäutige Krieger, mit denen es hin und wieder Ärger gab oder die sich untereinander umbrachten. So hatte sie nur hin und wieder ein Fläschchen Manukaöl von den Frauen gekauft – und sie ansonsten mit dem gleichen Interesse behandelt wie die fremdartig aussehenden Pflanzen.
Merkwürdig, die Maori jetzt mit Waffen zu sehen. War es möglich, dass ein Krieg mit den Weißen nicht mehr weit entfernt war? Eine Wiederholung dieser Unruhen, die die Männer nur den »Krieg der Mädchen« nannten und der wohl zwei Jahre vor ihrer Ankunft passiert war? Damals hatten sich Hunderte von Maori untereinander eine Schlacht am Strand von Kororareka geliefert, am Ende lagen mehr als ein Dutzend Leichen im Sand. Wahrscheinlich eine große Übertreibung – aber Anne hatte diesen Erzählungen ohnehin nie großen Glauben geschenkt. Jetzt, da dieser Häuptling so energisch seine Gewehre verlangte, fragte sie sich aber doch, gegen wen er wohl die Läufe dieser Waffen anschließend richten wollte.
Oaoiti machte eine ungeduldige Handbewegung. »Morgen gehst du. Allein.«
Damit erhob er sich und verließ die Besprechung, während Anne verzweifelt nach einem Ausweg suchte. Sie legte David eine Hand auf den Arm. »Du kannst nicht zurück«, flüsterte sie. »Was, wenn Jameson dich sieht? Er wird dich umbringen! Sein Stolz lässt nicht zu, dass ihm jemand eine Frau stiehlt und er nichts dagegen unternimmt. Du darfst da nicht hin! Es muss einen anderen Weg geben, um an die Waffen zu kommen …« Ihre Stimme hatte etwas Flehendes.
Paddy-Jay sah Oaoiti einen Augenblick lang hinterher. Dann zeigte er sein schmieriges Grinsen. »Und über meine Vermittlerdienste haben wir noch nicht geredet. Ich will zwei Goldpfund. Für jeden von euch. Die kannst du auch gleich mitbringen, wenn du die Gewehre lieferst.«
»Das ist zu viel! Was glaubst du denn, was ihr faulen Hunde mit den paar Walen verdient habt!«, rief Wilcox.
»Genug. Ich kenne den Preis für eine Tonne voller Tran«, erklärte
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