Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
an seinem Ledergürtel fest an den Leib band. Dann griff er nach Annes Hand.
»Schnell, wir müssen hier raus, bevor das Schiff endgültig vom Felsen rutscht und versinkt! Kannst du schwimmen?« Anne nickte, und Augenblicke später fanden sie sich auf Deck wieder.
»Komm. Wir müssen möglichst nahe ans Wasser, dann können wir springen und ans Ufer schwimmen. Bleib nahe bei mir!«, rief David. Sie kletterten an einigen Matrosen vorbei, die sich immmer noch an den Tauen festkrallten und wohl auf ein Wunder hofften – ein Teil von ihnen betete unablässig –, und erreichten die Reling, die bereits tief ins Wasser getaucht war.
Ohne zu zögern, stellte David sich darauf, versank dabei bis zu den Hüften im Wasser, nickte Anne noch einmal zu und verschwand in den Wellen. Sie folgte ihm. Wenn dieses Schiff wirklich abrutschen und untergehen sollte, dann wollte sie schon einige Meter entfernt sein.
Der kalte Pazifik schlug über ihrem Kopf zusammen, und ihre Füße prallten gegen irgendetwas Hartes, von dem sie sich mit einem kräftigen Tritt abstieß. Kaum war sie wieder an der Wasseroberfläche, fing sie an, in Richtung des Strandes zu schwimmen. Sie verfluchte sich selber, dass sie nicht den Leinenrock ausgezogen hatte, der sie jetzt an den Bewegungen hinderte und schwer nach unten zog. Immer wieder wurde sie von den Brechern in Richtung Strand überrollt, schluckte salziges Wasser und kam nach Luft ringend wieder hoch. Hin und wieder sah sie, dass David nur wenige Meter entfernt ebenso mit den Elementen kämpfte. Ihr erschien es wie eine Ewigkeit, bis sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Sie richtete sich auf und schleppte sich die letzten Meter durch die auslaufenden Wellen an den Strand. Erschöpft ließ sie sich auf die Knie fallen und rang nach Luft.
Es dauerte eine Weile, bis sie sah, dass David ebenfalls die Rettung aus dem Meer gelungen war. Auch er war an der Stelle, an der er aus dem Meer gekommen war, zusammengebrochen. Er blickte zu ihr herüber und warf ihr ein schwaches Lächeln zu. Noch bevor sie es erwidern konnte, hörte sie Schritte, die sich ihr näherten. Vor ihrem Gesicht tauchten nackte braune Füße auf.
Anne blickte nach oben und sah geradewegs in ein breites Gesicht mit einer Unzahl an spiralig gewundenen Tätowierungen am Kinn und auf den Wangen: der Maori, der die ganze Zeit reglos dem Treiben auf dem Schiff zugesehen und zur Rettung der Weißen keinen Finger gerührt hatte. Er sah nicht unfreundlich aus, eher wie ein neugieriges Kind, das einem Käfer zusieht, der auf dem Rücken liegt. Noch bevor sie etwas sagen konnte, tauchte der Schwarzhaarige neben dem Maori auf. Er lächelte ihr schmierig zu.
»Da ist ja mein hübsches Täubchen. Ich bin mir sicher, aus euch beiden kann man immer noch einiges holen. Und mein Freund Oaoiti freut sich auch, eure Bekanntschaft zu machen, nicht wahr?«
Der Maori nickte ernst.
Und Anne ließ den Kopf sinken. Dieser Tag stand ganz sicher unter keinem guten Stern, egal, wie friedlich er noch vor zwei Stunden ausgesehen hatte.
EAST CAPE, 1832
21.
»Für mich hätte ja ein bisschen Geld gereicht«, erklärte Paddy-Jay salbungsvoll. Inzwischen hatte sich der Schwarzhaarige vorgestellt, der den ganzen Ärger angezettelt hatte. »Aber mein Freund besteht darauf, dass er ein paar Feuerwaffen bekommt. Ich habe ihm ursprünglich einen Teil der Gewehre versprochen, die wir an Bord hatten – aber die sind ja wohl unglücklicherweise verloren.«
Er deutete in Richtung des Felsens, bei dem jetzt nur noch ein Teil des einstmals stolzen Schiffes zu sehen war. Der Rest hatte schon vor ein paar Stunden der ständigen Brandung nachgegeben, war vom Felsen gerutscht, auf dem es gestrandet war – und dann endgültig zerbrochen. Die Ladung war sicher verloren. Und damit lagen auch die Waffen auf dem Meeresgrund.
Paddy-Jay und Oaoiti hatten Anne und Wilcox einfach am Strand gelassen. Es gab kaum eine Notwendigkeit, sie zu fesseln – wo sollten sie in der Wildnis schon hin? Erst jetzt, als sich ganz langsam die Dämmerung über das East Cape legte, hatten die beiden David und Anne zu sich holen lassen. Sie sollten über den »Preis für diese Gastfreundschaft« verhandeln. Und den hatten die beiden nicht zu gering angesetzt.
»Zwanzig Gewehre. Und Schwarzpulver für tausend Schuss«, erklärte Oaoiti in holprigem Englisch. »Sonst …« Er machte eine unmissverständliche Bewegung am Hals.
Vorsichtig sah Anne zur Seite. Niemand wusste
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