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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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plötzlich, wie er in ihr Leben getreten war, hatte sich der tollkühne Flieger wieder verabschiedet, um zum nächsten Mädchen in der nächsten Stadt zu eilen.
    Mit dröhnendem Signalhorn kündigten der Kapitän und seine Crew die Abfahrt des Schiffes an. Einige Matrosen lösten die Taue, und das Deck erbebte unter dem Stampfen der Maschinen. Scheinbar behäbig legte die Yukon ab, dampfte rückwärts aus den Docks und drehte den Bug aufs Meer hinaus. Frischer Wind blies Hannah ins Gesicht und trocknete die Tränen, die sich in ihren Augen gesammelt hatten.
    Sie blieb an der Reling stehen und ließ die vielen kleinen Inseln im Puget Sound an sich vorüberziehen. An den Küsten standen vereinzelte Häuser, an den Anlegestellen waren Segelboote zu erkennen. Einige Männer, die mit ihrem Kutter aufs offene Meer unterwegs waren, winkten ihnen freundlich zu. Ein Schwarm von hungrigen Möwen kreiste um den Mast ihres Fischerbootes.
    Vertrautes Motorengeräusch veranlasste Hannah, den Kopf zu drehen. Über der Küste einer Insel tauchte ein einmotoriges Flugzeug auf, eine »Jenny«, knallrot lackiert und plötzlich so nahe, dass sie den Mann im Cockpit erkennen konnte. Sein weißer Schal wehte im Wind. »Frank!«, flüsterte sie, doch schon im nächsten Augenblick sah sie die junge Frau im vorderen Cockpit, die blonden Haare im Wind und vor Freude jauchzend. Er hatte sich eine neue Freundin angelacht! Sie war noch nicht einmal abgereist, da hatte er schon eine andere Frau eingeladen! Hatte der Kuss ihm denn gar nichts bedeutet? Vor Wut und Schmerz schossen ihr Tränen in die Augen »Du elender …, elender Mistkerl!«, schimpfte sie. Doch Frank hatte sie anscheinend nicht gesehen, raste in seiner Maschine über sie hinweg und flog in einer weiten Kurve zum Festland zurück. Das Lachen seiner Begleiterin glaubte sie bis nach unten zu hören.
    »Auf den sind Sie wohl nicht gut zu sprechen«, sagte ein Mann neben Hannah, ein bärtiger Alter mit verwittertem Gesicht und zahlreichen Falten um die Augen. Er trug die speckige Lederkleidung eines Fallenstellers, wie sie manchmal in den Geschichten der Ranch Romances vorkamen, und versteckte seine spärlichen Haare unter einem aus der Form geratenen Filzhut, an dem eine bemalte Eulenfeder baumelte. Er grinste. »Ein Exfreund von Ihnen?«
    Sie hatte den alten Mann nicht kommen hören und starrte ihn verwirrt an. »Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe!«, fuhr sie ihn aufgebracht an. Sie rannte weinend davon, stürmte in ihre Kabine und schlug die Tür hinter sich zu.
    Auf dem Bett weinte sie minutenlang in ihr Kissen. »Du elender Mistkerl«, fluchte sie immer wieder, »so ernst war es dir also mit mir!« Sie schluchzte hemmungslos, bis keine Tränen mehr kamen, und merkte erst dann, wie albern sie sich benahm. Frank und sie waren weder verlobt noch verheiratet, sie waren nicht einmal befreundet, und er wusste so gut wie sie selbst, dass sie einander niemals mehr wiedersehen würden. Er schuldete ihr nichts.
    Und doch … Hatte er unbedingt über ihrem Schiff auftauchen müssen?
    Sie stand auf, richtete ihren arg eingedrückten Hut und trat ans Waschbecken. Nachdem sie sich das Gesicht gewaschen und gründlich abgetrocknet hatte, ging es ihr schon wesentlich besser. Du wirst dir von diesem Typ doch nicht die Laune verderben lassen, rief sie sich zur Ordnung. Sie verrieb etwas Rouge auf ihren Wangen, musterte sich zufrieden im Spiegel und kehrte nach draußen zurück. Der Alte stand noch an der Reling und paffte an einer Pfeife.
    »Tut mir leid, Mister«, sagte sie zu ihm, »ich war wohl eben nicht sehr freundlich. War kein besonders günstiger Zeitpunkt, um mich anzusprechen.«
    Er grinste verschmitzt. »Das hab ich gemerkt.«
    »Der Mann in dem roten Flugzeug … Er war tatsächlich ein Freund von mir. Nun ja, so etwas Ähnliches. Er hatte mich eigentlich zum Hafen bringen wollen …«
    »Und dann sehen Sie ihn mit einer anderen … Das Gefühl kenne ich.«
    »Sie?«
    »Sie meinen wohl, ein alter Mann wie ich sollte sich überhaupt nicht mehr mit Frauen abgeben.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund. »Ist auch wirklich schon ’ne Weile her, ich war damals noch in den Zwanzigern. Oder schon in den Dreißigern? Egal, auf jeden Fall hatte ich mir diese wunderschöne Squaw angelacht …«
    »Eine Indianerin?«
    Er blickte in seine rauchende Pfeife und nickte. »Ich hatte damals nur Indianerinnen, weiße Frauen gab es ja kaum in Alaska. Das war noch vor dem großen Goldrausch am Klondike. Sie

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