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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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mein Haus ansteuere, weiß der Kerl, wo ich wohne. Aber da kam mir ein Wachtmeister vom nahe gelegenen Polizeirevier entgegen, der seine Runde machte. Der Kerl verzog sich, und der Wachtmeister brachte mich heim. Seine Rundgänge, die auch nachts besetzte Feuerwache gegenüber und die Kneipe »Marktbörse« wurden als mögliche Fluchtpunkte meine Angstvertreiber.
    Ich wohnte zu ebener Erde, später mietete ich einen weiteren Raum in der ersten Etage.
    In unserem kleinen Hof stand ein alter Schuppen, das war das Katzenhaus, und bald hockte der erste Kater vor meiner Tür. Er hatte glänzendes, schwarzes Fell, ich nannte ihn Lumumba. Wenige Tage später gesellte sich die orange-weiße Schalotte hinzu. Beide besuchten mich regelmäßig zum Kuscheln und zum Fressen.
    Hatte ich frei, ging ich gern spazieren, durch Köpenicks Altstadt Richtung Schloss, am einstigen Atelier meines Vaters vorbei. Mein Ziel war eine kleine Buchhandlung. Deren Leiterin gefiel mir, sie sah apart aus, trug einen dicken Zopf, der auf dem Rücken baumelte. Wenn sie Zeit hatte, unterhielten wir uns, über Bücher natürlich und über Theater und Malerei.
    Irgendwann lud sie mich in ihr kleines Häuschen am Wasser ein, wo ich ihren Mann kennenlernte, den Maler und Grafiker Dieter Goltzsche. Dann begann auch ich, Leute einzuladen. Ingrid Goltzsche brachte eines Abends Manfred Butzmann mit, den Grafiker und Maler, und der kam mit Peter Schwarzbach, der später Restaurator wurde. Beide studierten damals an der Kunsthochschule Weißensee, sie hatten noch weniger Geld als ich, aber wir brauchten nicht viel, um die Nacht durchzuquatschen und glücklich zu sein.
    Mein Hof, beschützt durch ein großes Tor, Haus und Katzenschuppen, wurde eine Insel der Begegnungen. Es war leicht, Menschen zu finden, mit denen ich auf einer Wellenlänge sendete und Lust hatte zu reden.
    Einmal sah ich auf dem Alexanderplatz einen jungen Mann mit Gitarre. Ich setzte mich auf eine Bank und hörte zu, er sang Folk-Songs von Gordon Lightfoot, die ich im AFN gehört hatte. Sein Gesang gefiel mir, ich sprach ihn an und lud ihn ein. Kornelius kam aus Westberlin, er ist heute Grafiker und Designer. Auf ähnlich unspektakuläre Weise lernte ich Helga und Konrad kennen, zwei linke Studenten aus Marburg, dann Björn aus Falun, Juan aus Spanien, der mich sofort heiraten wollte.
    Ich habe nie darüber nachgedacht, dass solche Kontakte unerwünscht waren. Vielleicht war ich naiv, sicher aber rebellisch, und ich hatte überhaupt keine Lust, mich unterzuordnen. Ich machte, was ich wollte, parierte Kritik mit Frechheit. Mein Temperament tat das Übrige.
    Einmal nervte mich ein Maler, der in mich verliebt war, ich aber nicht in ihn, was er nicht begreifen wollte oder konnte. Immer wieder stand er vor meiner Tür. Eines Tages, ich hatte gerade einen Kuchen gebacken, klingelte er wieder, da bewarf ich ihn mit diesem Kuchen, als er die Treppe runterlief, bis zum letzten Stück. Erst nach dieser Attacke blieb er mir fern. Später, als ich am Leninplatz wohnte, habe ich diese probate Methode wiederholt, es traf wieder einen Maler.
    Aber zurück zu meinem Hof im Katzengraben. Wir diskutierten die Nächte durch, sangen zu Kornelius’ Gitarre, erzählten Geschichten und von unseren Träumen, diskutierten über Kunst und Politik, tranken Wein und aßen, was da war, Schmalz- oder Zuckerstullen oder Knoblauchbrot. Nicht zu vergessen: Ein Brot kostete 45 Pfennige, eine Flasche Erlauer Stierblut, der einzige trockene Rotwein, den es gab, 3,50 Mark.
    Die neuen Freunde brachten exotische Gewürze mit und immer wieder Kaffee und bei uns nicht erhältliche Bücher: Kafka, Capote, Zuckmayer, Roald Dahl, Krimis. Und Schallplatten: die Beatles, die Bee Gees, die Stones, Leonard Cohen, Bob Dylan. Auch wenn der eingeschmuggelte Spiegel drei Monate alt war, für uns kam damit die große, weite Welt ins Haus. Und Maos Schriften erbat ich, weil es schick war. Gelesen habe ich sie nie.
    Ich hingegen beglückte meine Gäste mit Lenin, Marx und Engels.
    Ich hatte ein Tonbandgerät gekauft, Marke Smaragd. Das Ding war groß wie ein Rollkoffer für eine Wochenendreise und mindestens doppelt so schwer, aber ich schleppte es überall mit hin, bestückte es mit Musik aus dem Radio und von geborgten Schallplatten. Und wenn Kornelius nicht Gitarre spielte, dudelte Smaragd. Wurden wir zu laut, kam manchmal der nette Polizei-Wachtmeister. Wir konnten ihn zum Bleiben überreden, er aß und trank und erzählte mit uns bis zum

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