Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
innen entpuppte sich das Gebäude als Wunder. Ich bekam ein Zimmer, so groß wie eine Neubauwohnung, dazu ein Traum-Bad, ich fühlte mich wie im Himmel. Nur fand ich in diesem Traum-Bad keinen Wasserhahn. Am Abend fragte ich vorsichtig einige Kolleginnen, wie denn ihr Bad sei und ob sie schon geduscht hätten. Ja, ja, sehr schön, das alles. Ich dachte, nur ich sei zu blöde, einen Wasserhahn zu finden. Allmählich aber machte sich bei allen leichter Unwille breit, wir gestanden unsere Hilflosigkeit im wasserlosen Bad ein. Einige Techniker gaben zu, sogar den Traps abgebaut zu haben, um den geheimnisvollen Weg des Wassers zu verfolgen. Was tun? Das Hotelpersonal sprach nur Finnisch und Englisch, in unserem Schul-Englisch war ein Wort wie Wasserhahn nicht vorgekommen. Außerdem schämten wir uns: Die aus dem Land hinterm Mond finden das Wasser nicht.
Irgendwann hatte einer das Geheimnis – vielleicht durch Zufall – gelüftet: Das Wasser floss, wenn man einer Fliese mit der Hand zuwinkte. Fliesen waren in der DDR rar, und nun also einer Fliese winken, das fand ich klapsmühlenreif.
Einmal, es war in Kopenhagen, empfing uns am letzten Tag unseres Aufenthaltes die Handelsvertretung der DDR . Wir hatten kein Geld mehr, waren hungrig und hofften auf wenigstens eine kleine Mahlzeit. Es gab Salzstangen, Wodka und die sächsische Piepsstimme der Gattin des Handelsvertreters: »Willgommen auf dem Derridorium dr Dä-Dä-äR!«
Im Flugzeug ging es dann hoch her. Viele von uns trugen diese kleinen Perlonnetze mit sich, in denen man bis zu einer Tonne unverhofft ergatterter Lebensmittel transportieren konnte. Die stülpten wir uns über die Köpfe, und mit den Worten »Das ist ein Überfall!« forderten wir die Stewardessen auf, die Bar zu öffnen. Heute ist so etwas undenkbar.
Das Ensemble landete in etwas desolater Verfassung in Schönefeld. Als wir über das Rollfeld zur Ausgangshalle liefen, sahen wir Zollbeamte mit Hunden zu dem Wagen mit unseren Koffern gehen. Spontan begannen wir, mit den Hunden zu bellen: Hasch, hasch, hasch, wuff, wuff ... Es war saukomisch, fast neunzig bellende Personen überstiegen das Maß, das Zollbeamte mit Würde ertragen können.
Einmal, wir kamen wieder aus Skandinavien, fragte der Zollbeamte einen Kollegen, ob er Pornohefte dabei habe. Der Kollege, wie so oft nicht mehr nüchtern, quasselte los: »Natürlich, der ganze Koffer ist voll davon, Sie können nachsehen, sind nur Pornos drin ...«
Der Zollbeamte zögerte kurz und winkte den Mann durch, um das Gequatsche zu beenden.
Draußen mussten wir zunächst unsere Pässe abgeben. Da stand also, wie nach jeder Reise, eine Tante mit der Kiste für die Pässe: »Willkommen daheim! Alle wieder da?« Erst wenn man seinen Pass los war, durfte man auf die wartenden Familienmitglieder zugehen. Der Kollege strebte also zu seiner Frau, einer Solotänzerin, und teilte ihr strahlend mit: »Ich hab dir geile Literatur mitgebracht, hier, guck mal!« Und zog ein Pornoheft aus dem Koffer.
Bei einem Volksbühnen-Gastspiel in Italien wurde ich unfreiwillig zur Fluchthelferin. Wir spielten Der gute Mensch von Sezuan in Florenz, Genua, Turin, Mailand, überall mit Riesenerfolg. Nach der letzten Station, in Mailand, bat mich Achim Freyer, ein genialer Bühnen- und Maskenbildner, am Flughafen-Bus, mal kurz seinen Koffer zu nehmen, er habe noch was zu erledigen, käme gleich nach. Arglos, wie ich nun mal war, nahm ich den Koffer. Aber Achim erschien nicht am Bus und nicht am Flughafen, er kam nie mehr. Ratlos wandte ich mich an Dieter Klein. Der war Parteisekretär, unglaublich hilfsbereit und loyal und vertrauenswürdige rechte Hand von Benno Besson. Leider lebt er nicht mehr. Dieter musste also Achims Abgang vermelden, im Flugzeug sprach er mit Grabesstimme von Republikflucht und Verrat. Wir haben Achims Weggang sehr bedauert; wäre aber ein Ensemblemitglied abgehauen, hätte das Umbesetzung und neue Proben zur Folge gehabt.
Wieder im Theater, musste ich mich vor der Kaderfrau rechtfertigen, wie, wann und warum die Übergabe des Koffers abgelaufen sei.
Nach der Wende arbeiteten Achim Freyer und ich erneut zusammen am BE , da erzählte er mal in der Kantine von seiner Flucht. »Du, deine Fluchthelferin war ich, mein Lieber!«, sagte ich. Daran erinnerte er sich nicht mehr. Aber wir konnten darüber sehr lachen.
Ich durfte weiterhin mit ins westliche Ausland reisen, obwohl ich damals noch allein lebte. Benno Besson bürgte für mich. »Die geht nicht weg,
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