Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Freundeskreis gehören Menschen mit den unterschiedlichsten Berufen, aber wenige Schauspieler. Ich brauche ein Stück privates Leben ohne Theater.
Natürlich werden auch wir gern eingeladen. Einmal feierten unsere Freunde ein großes Fest. Unser Sohn Jacob war fünf, ein verlässlicher kleiner Kerl und der Beschützer seiner Schwester. Er konnte die Drehscheibe des Telefons bedienen und die Zahlen wählen, die wir auf einen Zettel geschrieben hatten. Wir erklärten ihm, dass er uns bei den Freunden anrufen könne und wann ungefähr wir wieder heimkämen. Das hatte schon einige Male geklappt. Nur vergaßen wir an jenem Abend die Schlüssel. Gegen Mitternacht kamen wir zurück, leicht angedüdelt. Wir klingelten, warteten. Nach einigen Minuten hörten wir unseren Sohn durch die Sprechanlage: »Ich darf nicht aufmachen. Auf Wiedersehen.« Wir versuchten es erneut, bekamen dieselbe Auskunft. Wir klingelten zaghaft bei Nachbarn, entschuldigten uns, erklärten die Situation. Sie ließen uns ins Haus. Wir klingelten an unserer Wohnungstür. Von innen tönte Jacob: »Ich mache nicht auf. Auf Wiedersehen.« Ich beteuerte: »Jacob, hier sind Mama und Papa, wir haben den Schlüssel vergessen!« Das Kind blieb fest. Es kannte schließlich das Märchen von den sieben Geißlein, in dem der Wolf seine Stimme verstellt hat.
Wir gingen wieder auf die Straße, sahen im Nachbarhaus in einem Fenster Licht. Da kam uns eine kühne Idee. Wir klingelten auch dort und baten, über den Balkon auf unseren Balkon klettern zu dürfen, dann könne unser Sohn uns sehen und einlassen.
Die Leute waren sehr erstaunt, hielten uns wahrscheinlich für verloddert, weil wir unsere Kinder allein ließen und nun auch noch im dritten Stock an der Hauswand herumklettern wollten wie in einem amerikanischen Film. Aber sie ließen uns ein.
Mein Mann, der nicht sehr sportlich war, aber etwas beschwipst und deshalb mutig, hievte sich über die Balkonbrüstungen. Etwa einen Meter standen die Balkone auseinander. Ich turnte hinterher. Inzwischen war es ungefähr ein Uhr nachts. Wir klopften an die Scheibe, bettelten um Einlass. Jacob stand im Schlafanzug im Wohnzimmer und winkte ab: »Nein, nein. Ich lasse niemanden rein. Wie seid ihr denn auf den Balkon gekommen, ihr könnt doch nicht fliegen!«
Da standen wir nun vor unserer geschlossenen Balkontür, erklärten unserem Sohn, wie dumm wir gewesen seien, den Schlüssel zu vergessen, und er möge uns doch bitte, bitte einlassen.
Er holte endlich seine Fußbank, stellte sich drauf, öffnete die Tür und ging wortlos und beleidigt in sein Bettchen.
Bei einem Glas Wein berieten wir, wie wir uns am Morgen verhalten sollten. Beim Sonntagsfrühstück lobten wir unseren Sohn über den grünen Klee und entschuldigten uns reumütig bei ihm. Aber als er mit ernsthafter Miene sagte: »Die Entschuldigung ist angenommen«, brachen wir doch fast zusammen vor Lachen.
Viele Feste fanden und finden zu Hause statt. Dann schnippele ich schon morgens Gemüse für Salate und Süppchen, koche und brate. Wenn meine Tochter Jenny Zeit hat, hilft sie mir. Meist denken wir uns ein Thema für ein Essen aus, ein italienisches Menü, ein schwedisches Fischessen, ein asiatisches Büffett von Frühlingsröllchen bis Sushi.
In der DDR musste man erfinderisch sein, wollte man Außergewöhnliches zubereiten. Von den Gastspielen brachte ich landestypische Spezialitäten mit, oft aber fehlte eine bestimmte Zutat für ein Gericht. Bambussprossen zum Beispiel gab es nirgends. Stattdessen probierte ich es mit geraspeltem Kohlrabi, das passte. Es wusste ja niemand, wie das Originalgericht schmeckte. Das Geheimnis lag in den Gewürzen, und danach fahndete ich, wo immer ich hinreiste. Meine Kochkünste konnte man den Aufschwung Ost nennen, aus nichts mach was Großes.
Kochen bedeutet für mich Entspannung. Seit einigen Jahren koche ich nachts. Wenn ich von einer Vorstellung komme und noch total aufgekratzt bin, breite ich in der Küche alle Zutaten aus, höre Musik, trinke ein Glas Wein und kreiere neue Gerichte. Entspricht das Ergebnis meiner Vorstellung, friere ich alles ein. So bin ich gewappnet für plötzliche Besucher, überrasche meine Kinder damit oder erfreue mich selbst daran, wenn ich Appetit habe.
Ich mag Traditionen beim Feiern. Jeden mir lieben Menschen sehe ich dann wenigstens einmal im Jahr. Hat uns doch die Zeit verändert. Selbst bei engsten Freunden kann man heute nicht mehr spontan klingeln, wir müssen für Treffen Termine
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