Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
mit »Messerverletzung«.
Der Arzt in Nauen war nicht auf eine Bäuerin in Vierziger-Jahre-Alltagskleidung gefasst, er hatte wohl einen Mann aus entsprechender Szene erwartet. Als er den Verband abgenommen hatte, konnte er sein Erschrecken nicht ganz vor mir verbergen.
»Das war knapp, junge Frau«, sagte er, »aber das kriegen wir wieder hin.« Das Messer hatte nur um Weniges die Halsschlagader verfehlt.
Die gute Nachricht: Er habe zum Nähen Katzendarm aus dem Westen, damit würde sich das Loch im Ohr gut schließen und die Wunde schnell verheilen. Die schlechte: Er müsse ohne Betäubung nähen. Ein Knorpel könne nicht betäubt werden, Anästhesie funktioniert nur in Weichteilen. Er schob mir eine sogenannte Beißwurst zwischen die Zähne, damit ich den Schmerz wegbiss und nicht losbrüllte, den Restschmerz krallte ich in die Krankenschwester. Ich hörte, wie der Faden immer wieder durch das Ohr gezogen wurde – mbssssst ...mbssssst .... ein ungeheuerliches Geräusch.
Der Produktionschef hatte inzwischen meinen Mann angerufen und behutsam angedeutet: »Herr Antoni, Sie wissen, welche Szene wir heute gedreht haben? Ihre Frau ist am Kopf getroffen worden ...«
Ich ahnte, was in meinem Mann vorgegangen ist. Als man mich am Abend nach Hause brachte, sah ich ihn mit den Kindern am Fenster stehen, alle so weiß wie die Wände in unserer Wohnung. Heldenhaft und mit schiefem Lächeln entstieg ich dem Auto und winkte ihnen tapfer.
Als mein Gesicht nicht mehr ganz so aussah wie aus bunter Knete und man das Grün und Gelb und Blau überschminken konnte, gingen die Dreharbeiten weiter. Ich trug ein Kopftuch, um den Verband zu überdecken. Der Film ist großartig geworden, finde ich, aber seitdem lasse ich mich bei gefährlichen Szenen lieber doubeln. Und wenn ich Hähnchen esse, werde ich immer noch leicht sentimental.
Feste feiern
Feiern muss gelernt sein, ebenso wie Stille aushalten und Trauern. Im Hause Antoni bot vieles Anlass zum Feiern: Geburtstage sowieso, Einschulung, die erste Vier in Mathe, jede Eins und das beste Zeugnis, Jugendweihe, Abi, ein Abschluss. Dabei lernten die Kinder nicht nur zu teilen, zu spielen, zu verlieren, sondern auch, gute Gastgeber zu sein. Es gab jedes Mal ein Büffett, viele Spiele, kleine Preise und immer glückliche Kinder. Eingeladen zu werden gehört zu den Kinderträumen, gelungene Feiern bleiben eine schöne Erinnerung, sie sind ein Stück Glück.
Im Sommer fuhren die Theaterkinder nach Rügen ins Ferienlager. In beheizbaren Bungalows standen vier Betten, ein Tisch, vier Stühle, ein Geschirrschrank. Waschraum und Toiletten benutzten alle gemeinsam. Das Ferienlager betreuten Schauspieler, Angestellte des BE , ein lustiger Koch sorgte fürs Essen.
Wie in jedem Kinderferienlager der DDR war ein Fahnenappell vorgeschrieben, bei uns ging der allerdings ohne Meldung und Fahne vonstatten. Manchmal hing an der Fahnenstange eine Flagge mit Neptun drauf, hin und wieder wurde ein Badeanzug oder ein T-Shirt aus Jux hochgezogen. Es war immer was los: Wasserfeste, Quallenschlachten, Sandburgen-Sausen, Budenzauber, Nachtwanderungen. Bekam trotz dieses Trubels ein Kind Heimweh, tröstete Peti, der gute Geist des Lagers. Peti heißt Petra Maria Cammin und ist Schauspielerin. Viele Sommer kümmerte sie sich mit Liebe, Fantasie und Engelsgeduld um die Theaterkinderbande. Sie las Geschichten vor, verscheuchte Angst vor Gewittern und Gespenstern, schlichtete, beruhigte und schrieb Karten an die Eltern. Unsere Kinder waren bei ihr bestens aufgehoben, sie liebten ihre verrückten Einfälle und ihr ansteckendes Lachen. Noch heute gehört diese wunderbare Frau zu meinem Freundeskreis, auch heute kein Fest ohne Peti.
War das Ferienlager zu Ende, reisten die Eltern an und verlebten dort mit ihren Kindern den Urlaub. Wir verbrachten glückliche Tage am Strand, abends spielten wir Karten, würfelten, lasen vor, tanzten auf der Dorf-Disko, guckten in die Sterne, und wer Bescheid wusste, erklärte den Sternenhimmel. Manchmal kochte eine Familie für alle. Mittwochs gab es frischen Fisch, sonnabends wieder ein Fest. Ob Laternenfest, Scheunenfest, Steilküstenfest, ein Titel fiel uns immer ein. Wir brauchten nicht viel, um fröhlich zu sein.
Im Beruf verstehe ich mich als Einzelkämpferin. Privat aber liebe ich es, viele Gäste zu haben – gute Freunde und auch Fremde, die vielleicht einmal Freunde werden. Hauptsache, sie wollen sich unterhalten und lieben, wie ich, gutes Essen. Zu unserem
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