Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
mir gefiel die Ethik dieses Sports: Karate bedeutet leere Hand, Do ist der Weg, und der führt zu Gelassenheit und Ausgeglichenheit im Umgang mit anderen Menschen.
Dojo ist der Raum, in dem man trainiert. Man betritt ihn barfuß, der Schmutz der Straße und der Gedanken bleibt draußen. Karate beginnt und endet mit Respekt, so lautet die erste Regel. Eine weitere: Du greifst niemals an, aber wenn du angegriffen wirst, kannst du dich wehren. Und du benimmst dich so, dass du gar nicht erst angegriffen wirst. Genau das wollte ich: nicht andere Leute verprügeln, sondern mich bei einem Angriff verteidigen können, mich sicher fühlen.
Im Gegensatz zu Judo trainiert man ohne Körperkontakt. Auch das war enorm wichtig für mich, denn ich brauche meine Gliedmaßen und meine Zähne. Ich lernte, mit voller Kraft die Katas zu laufen, das sind stilisierte Übungen gegen imaginäre Kämpfer, und Zentimeter vor dem Partner Fuß oder Faust zu stoppen. Und ich lernte, mit Sai-Gabeln, Tonfas und langen Stöcken zu kämpfen, ebenfalls, ohne jemanden damit zu berühren. Diese Waffen entwickelten sich einst aus dem zweckentfremdeten Umgang mit Dreschflegel, Heugabel und Mahlholz, womit sich die Bauern auf Okinawa gegen herumstreunende Samurais zu wehren versuchten.
Mit solchen Geräten im Gepäck fuhr ich jeden Sommer für zehn Tage in ein Trainingslager, nach Bayern, nach Ungarn oder nach Japan. Es sah lustig aus, wenn ein kleiner Ort von uns weiß gekleideten Menschen wimmelte. Denn da trafen ungefähr 300 Leute aus aller Welt ein, um mit einem Meister, dem Hanshi, zu trainieren. Jenny und Jacob, meine beiden Kinder, kamen meistens mit, ich hatte sie längst für Karate Do begeistert. Sportler aus Japan und vielen anderen Ländern reisten an, nicht um zu gewinnen, sondern um ohne Konkurrenzgedanken zu trainieren. Auch Menschen mit Behinderungen kamen, das lehrte uns Toleranz und Rücksichtnahme. Für mich, die immer Risikobereite, Ungestüme, die häufig unüberlegt oder hektisch reagiert, genau das Richtige. »Kleine Kampfkugel« nannte mich meine Familie.
Am Ende eines Meistertrainings feierten wir ein Fest, bei dem wir bis zum Morgen miteinander redeten.
Ich wurde stark und schnell, nach acht Jahren Training erreichte ich meinen ersten schwarzen Gürtel. Das ist nach den Schülergürteln weiß, gelb, orange, grün, blau und zweimal braun der unterste Meistergrad. Ich bekam den 4. Dan und wurde Renshi, also Lehrerin. Es ist einer der klassischen Ehrentitel, die man neben dem Dan-Gradierungssystem erlangen kann.
Das Beste aber: Schon nach zwei Jahren Training spürte ich eine enorme Kondition. Die Beine konnte ich einen halben Meter höher strecken als andere Leute. Aggressionen schlug ich in die Luft. Mein Angstpegel sank erheblich, dafür stieg meine Konzentrationsfähigkeit. Durch diesen Sport habe ich sogar das Lampenfieber vor einer Vorstellung verloren.
Siebzehn Jahre lang blieb ich dabei, dann habe ich abtrainiert. Der Beruf forderte mich zu sehr, die Zeit rennt, ich werde älter. Ich wohne im dritten Stock, mache morgens zehn Kniebeugen, das reicht, um fit zu bleiben.
Einmal, ich trainierte noch regelmäßig, wollten meine Tochter und ich eine Reise nach Japan buchen. Wir gingen in das Reisebüro, in dem man uns kannte und schon häufig gut beraten hatte. Es ist ein kleines Geschäft, an den Wänden schmale, hohe Regale, ein runder Glastisch, zwei Sesselchen, der Schreibtisch mit Computer. Beim Thema Japan kamen wir mit der Dame in ein Gespräch über fernöstliche Traditionen und Kampfsport. Sie zeigte sich erstaunt über unser Wissen, erfragte Kampftechniken.
»Das ist eine Frage der Energie«, hub ich an, »man sammelt sich und ...«
Ich weiß nicht, was mich geritten hat, ich führte ihr jedenfalls einen, wie ich glaubte, kleinen Tritt in die Luft vor. Mein Fuß traf jedoch die Tischplatte, der Tisch kippte ans Regal, alle Prospekte fielen herunter auf einen der Sessel, so dass auch der kippte und ein weiteres Regal mitriss. Es war wie in Loriots Sketch »Das schiefe Bild«, das ganze Reisebüro ein einziges Chaos. Jenny bekam einen Lachanfall und hörte gar nicht auf damit, die Reisekauffrau saß da wie in Stein gehauen. Und ich räumte etwa eine Stunde lang das Büro auf.
Gebucht haben wir Irland.
Gastspielreisen auf Italienisch
Mit Benno Besson reisten wir am liebsten. Er war für uns wie ein Theatervater. Der gebürtige Schweizer sprach perfekt Italienisch, er kannte Italien gut, auch Kneipen, die in
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