Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
davor stehen und ihre Herzensanliegen in die Mauer pressen. Klagemauer – das ist ein schöner Gedanke, ein Ort, an dem man sich beklagen kann.
Viel später, als mein Mann gestorben war, hab ich Iris Berben einen Zettel mitgegeben, als sie nach Israel flog. Ich fand etwas Tröstliches in dem Gedanken, mich über seinen so frühen Tod beklagen zu können.
In Jerusalem sah ich Vertreter aller Religionen, Christen, Moslems, Juden, moderate und orthodoxe. Und in einem Bus neben mir eine ältere Frau in kurzärmeliger Bluse, auf dem Unterarm eine blaue Nummer eintätowiert. Ich schämte mich.
In Jerusalem bin ich endgültig Atheistin geworden.
Die Stockholmer Inseln und Kopenhagens Kanäle, die Straßen von London und der Hafen von Genua, die Pietá im Petersdom und der Pariser Louvre – ich habe diese Reisen genossen. Nie kam mir in den Sinn, nicht wieder mit nach Hause zu fliegen. Und ob mit der Volksbühne oder dem Berliner Ensemble – unsere Vorstellungen wurden umjubelt. Das war das Sahnehäubchen obendrauf.
Ende der achtziger Jahre ging das Berliner Ensemble auf große Südamerika-Tournee, Argentinien, Mexico, Venezuela, Kolumbien. Wochen vor der Reise informierte uns ein blasser Mann, der einmal Handelsrat gewesen war, über den Kontinent im Allgemeinen und im Besonderen: Nur touristische Wege gehen, immer den Pass mitnehmen und niemals Geld!
Gleich nach der Landung in Caracas schärfte uns der Dolmetscher ein: Immer nur eine Kopie vom Pass mitnehmen und immer Geld, und das nicht im Portemonnaie, sondern locker in der Tasche, nur in Gruppen unterwegs sein und nach 19 Uhr am besten gar nicht das Hotel verlassen!
Als wir die Wellblech- und Papphütten sahen, die die Stadt umstanden, begriff ich, was ich bis dahin nur aus der Zeitung und dem Fernsehen wusste: die Welt besteht aus Arm und Reich. In Südamerika aus sehr Arm und sehr Reich.
In Argentinien sprachen wir mit Kollegen, deren Männer, Brüder, Väter verschleppt worden waren oder im Gefängnis saßen. Wir tauschten mit ihnen Adressen, und wenn später ein Bekannter hinflog, haben wir einen Gruß oder ein Päckchen mitgegeben, aber es kam nie eine Bestätigung.
In Mexico hatten unsere Gastgeber eine Busfahrt zu der Pyramiden-Stadt Teotihucán organisiert. In brüllender Hitze wanderten wir die zweieinhalb Kilometer lange, baumlose »Straße der Toten« zur Pyramide der Sonne und der des Mondes und bestaunten die wie mit dem Lineal gezogenen Straßen. 1500 Jahre alt, und immer noch sind die Grundrisse der Wohnhäuser, Tempel und Altäre zu erkennen.
In Bogotá besichtigten wir im Museo del Oro die Sammlung mit präkolumbianischer Goldkunst – unfassbar, was da an Schätzen lagert! Mehrere Tausend goldene Sonnen, Pflanzen und Tierfiguren, eingebettet in künstliche Landschaften, die im Dunkeln leuchten.
Und dann die Kehrseite. Eines Nachmittags machte ich mich mit Pit Reinecke und einer Dolmetscherin auf den Weg zum Montserrat. Wir wollten mit der Seilbahn die 3200 Meter hoch fahren, die Aussicht auf Bogotá genießen und die Kirche mit dem Schrein der Virgin Morena besuchen. Dazu kamen wir nicht. Plötzlich fiel uns eine Gang an. Sechs junge Kerle, fast noch Kinder, an jedem von uns hingen zwei, leerten unsere Taschen und fuchtelten mit Messern herum. Pits goldene Kette mit einem Talisman von seiner Frau rissen sie ab, mir zerschnitten sie den linken Unterarm, die Narben sind heute noch sichtbar. Im Krankenhaus hat man mich kommentarlos verbunden, was sollten die auch machen, so was passiert dort dreißig Mal am Tag. Ein Frühstück bedeutet mehr als ein Leben – man kann ja beichten, dann wird alles verziehen.
Aber zum ersten Mal im Leben hatte ich Angst, eine Angst, die mir bis dahin fremd gewesen war. Auf mich warteten schließlich zwei kleine Kinder zu Hause.
Abends sollte ich singen, wir spielten die Dreigroschenoper , ich konnte nur mühsam sprechen, keinen Ton singen.
Nach dieser Reise plante ich, Selbstverteidigung zu trainieren, um diese furchtbare Angst nie wieder spüren zu müssen.
Karate Do
Außer für Judo und Ringen gab es in der ansonsten so sportfanatischen DDR keinen Verein, in dem japanische Kampfsportarten trainiert werden konnten. Aber es gab Nischen. Ich kannte einen Physiotherapeuten, der von einem japanischen Meister Karate Do gelernt hatte und dieses Wissen weitergab. Bei ihm begann ich zu trainieren, zweimal in der Woche und sonntags. Ich war festen Willens, nie wieder hilflos einem Angriff ausgesetzt zu sein. Und
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