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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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keinem Reiseführer standen. Er wusste, dass sich viele von uns auf Gastspielreisen das Geld vom Munde absparten, um es für Museen, für Sehenswürdigkeiten und Souvenirs ausgeben zu können. Wir alle reisten mit irgendetwas Essbarem im Koffer, mit Büchsen oder einer Dauerwurst. Ohnehin hätten die Spesen nicht für solche Gerichte und Weine gereicht, zu denen Benno uns öfter mal einlud. Sicher gab es im Theater einen Trick oder einen Topf, aus dem er für derartige Gelegenheiten etwas nehmen konnte, aber vieles hat er wohl aus eigener Tasche bezahlt.
    Benno brachte uns Esskultur bei. Verkündete ein Kollege, einfach auf die Speisekarte tippen und essen zu wollen, was auf den Tisch käme, warnte Benno ihn: »Tu das nicht!« Einer wollte es partout ausprobieren und fand auf seinem Teller eine Art winzigen Broiler, aber das war ein Singvogel.
    Benno war empört: »Was hab ich dir gesagt, so was isst man nicht, das ist nicht anständig!«
    Er bestellte eine Schüssel Spagetti und einen Berg Muscheln, wir lernten, sie zu essen und zu genießen. Er erklärte uns anhand der Speisekarten die verschiedenen Weinsorten, die unterschiedlichen Fische. Wir erfuhren, dass Fernet Branca ein Magenbitter aus 27 Kräutern ist und Risotto eine Vorspeise. Bis dahin hatte ich angenommen, es handle sich um einen simplen Auflauf. Wobei man nicht vergessen darf, es waren die siebziger Jahre. Dass man zu alldem Brot isst und Wein trinkt, erinnerte mich an den Ausspruch meines Vaters: Butter ist zum Kochen da, Butter kommt nicht aufs Brot.
    Damals schwor ich, wenn ich eines Tages Geld habe, lade ich Benno zum Essen ein als Dank für diese wundervollen Erfahrungen. Kurz nach der Wende ging mein Wunsch in Erfüllung. Ich traf ihn in Paris, lud ihn in sein Lieblingsrestaurant ein, und nie wieder erschien mir eine hohe Rechnung so angemessen wie diese.
    Solche Abende wie die mit Benno Besson und Begegnungen mit Künstlern außerhalb der engen DDR wirkten auf mich wie eine Offenbarung, die all meine Sinne in Aufruhr brachte. Ich war Anfang Zwanzig – von Welterfahrenheit also keine Spur.
    Benno Besson, Matthias Langhoff und Manfred Karge, die im Westen gearbeitet hatten, waren mit vielen Künstlern befreundet. In Italien fragte mich der eine oder andere: »Was machst du heute Nachmittag um vier, hast du Lust mitzukommen?« Natürlich hatte ich Lust!
    So trank ich in Mailand bei Luca Lombardi Tee; er war so alt wie ich und wirkte schon als Dozent für Komposition am Konservatorium. Er ist unglaublich produktiv, schrieb Musiken für Filme und Opern, Oratorien, Sinfonien, Kammermusik. Ich kaufte mir eine Platte mit Klavierstücken von ihm. Wenn ich sie heute höre, erinnere ich mich wieder, wie dieser kleine, verrückte Italiener einmal in unsere Vorstellung kam, in der ersten Reihe saß, wie irre klatschte und immer wieder »Brrravo, brrravo!« rief.
    Manfred Karge und Matthias Langhoff nahmen mich in Venedig mit zu Luigi Nono. Ich saß also auf dem Sofa und lauschte, wie er uns auf dem Flügel vorspielte – kleine romantische Stücke und auch für meine Ohren sehr Fremdes. Er war mit Nuria Schönberg verheiratet, der Tochter des Komponisten Arnold Schönberg. Nonos Tod 1990 hat mich sehr berührt, ist er doch nur 66 Jahre alt geworden.
    In Mailand lud der berühmte Giorgio Strehler Benno Besson und eine kleine Truppe unseres Volksbühnen-Ensemble zu sich nach Hause ein. Ich durfte dabei sein. Der italienische »Brecht-König« empfing uns in einem graublauen Anzug, mit hellbraunen, sehr spitzen Lederschuhen, die Lockenpracht sorgfältig frisiert und gegelt. Seine spätere Ehefrau Andrea Jonasson, eine deutsche Schauspielerin, hatte er wohl gerade erst kennengelernt. An diesem Abend war Milva da. Sie trug ein mondänes Kleid, die roten Haare reichten bis zur Hüfte.
    Strehler parlierte mit Besson in wahnsinnig schnellem Italienisch, kein Mensch verstand ihn, aber seine Gestik wirkte imposant wie eine Inszenierung.
    Ich erinnere mich an ein schwarzes Klavier, das mit einem Büffett in Rot-Weiß wunderbar kontrastierte. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich das Rot-Weiße als ein Arrangement ungeahnter, uns unbekannter Köstlichkeiten, zu denen Strehler einlud.
    Später sang Milva für uns Brecht-Songs, die sich völlig anders anhörten als das, was ich bis dahin als Brecht-Lieder gehört hatte. Sie röhrte den Barbara-Song und den Matrosen-Song mit tiefer, sicherer Stimme und in einem mir neuem Tempo. Sie sang direkt in unsere Gesichter, als

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