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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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meinen spielen lassen. Das hat mit persönlicher Wertschätzung, mit Achtung zu tun. Zu denken, Hauptsache ich bin an der Rampe, das ist mein Stück – da läuft nichts. Die anderen können einem nämlich ganz schön zusetzen, wenn sie wollen.
    Es ist immer von Vorteil, wenn man sich jedes Stück ansieht, das am Haus inszeniert wird. Das bewahrt vor Überraschungen, falls eine Umbesetzung erforderlich ist und man irgendwo einspringen muss. Natürlich kann man sich ein Video ansehen, aber das ist nicht immer aktuell und erschwert die Sicht auf Spiel und Arrangement.
    Spielfreie Tage sind keine Urlaubstage. Aushäusige Aktivitäten plane ich erst nach 18 Uhr – dann sitzen die Kollegen in der Maske, und die Vorstellung kann planmäßig ablaufen. Bis dahin muss man immer damit rechnen, dass eine Kollegin oder ein Kollege ausfällt und der Spielplan geändert wird. Oder es kommt ein Anruf: »Maja, kannst du das machen?«
    Zum Beispiel beim Käthchen von Heilbronn , die Vorstellung war fast ausverkauft und Ruth Glöss, die gräfliche Haushälterin, plötzlich erkrankt. Nun ist das keine Hauptrolle, aber eine mit großer Sprachkunst alter Schule, für die Ruth und Jürgen Holtz als Kaiser stets Szenenapplaus kassierten. Also ab ins Theater, kurze Ansage der Regie, in das kleine Buch den Text geklebt, das Stichwort des Auftritts gemerkt und raus auf die Bühne. Man hängt an der Mimik des Partners, lauscht auf das Zischeln und Flüstern der Kollegen, aus der Gasse schauen gefühlte hundert Augen zu, wie ich das packe, jetzt dürfen die Worte nicht privat klingen, sondern nach Kleist – es ist eine irre Situation, doch hat mich längst der Ehrgeiz gepackt, und wenn man eine Vorstellung gerettet hat, ist es ein wundervoller Abend, und ich fühle mich gut.
    Sprechfehler, Hänger, Pausen, Pannen – das ist das Arbeitsfeld einer Souffleuse. Versprecher wie: »Zwei doppelte Rechtsanwalt, Herr Konjak!« oder: »In unserem Käthchen ist ein Stind verschwunden« statt »in unserem Städtchen ist ein Kind verschwunden« hebeln allerdings selbst eine Souffleuse aus, da kann auch sie nicht helfen. Sie sind unsere stillen Feen, die nur etwas sagen, wenn wir nichts mehr sagen und über die nie etwas gesagt wird. Aber ohne sie wären wir aufgeschmissen. Sie sind die besten Zuschauerinnen, unermüdlich, jeden Abend. Sie verfolgen die gesamte Probenzeit mit allem Auf und Ab, mit Freuden, Leiden, Leistungen und Lücken, sie bemerken jede Abweichung, fühlen unsere Tagesverfassung, sie erkennen an der Atmung, wenn etwas nicht stimmt. Sie sind Kritikerinnen, Stückebeobachterinnen, Zeitzeuginnen der Theaterarbeitt, einfach schlaue Damen.
    Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die tönen laut, keine Souffleuse zu brauchen. Säße sie aber an einem Abend nicht auf ihrem Platz, würde ihr Fehlen Panik auslösen.
    Mit Eva Böhm verbringe ich schon ein halbes Theaterleben. Ich bin ziemlich gut im Improvisieren eines Textes, falls der mir abhanden kommt. Man bemerkt kaum, wenn ich was rede, was nicht ganz der Vorlage entspricht. Aber das leise Kichern von Eva verrät mir, sie hat mich ertappt.
    Sie war einst in der Germanistik zu Hause, aus Liebe zum Theater und zur Literatur kam sie zu diesem Beruf. Zwanzig Mal hat sie ein Stück vor der Premiere gesehen, mindestens. Sie kann jedem soufflieren, geht mit jedem Satz, mit jedem Atemzug mit. Probiere ich etwas Neues aus, signalisiere ich ihr: Wundere dich nicht, wenn ich eine etwas längere Pause mache, du musst nicht reingehen, wahrscheinlich war ich an dieser Stelle viel zu schnell. Dann weiß sie Bescheid. Sieht sie aber bei einem von uns ein kurzes, stockendes Atmen, das da nicht hingehört, springt sie ein.
    Hängt ein Kollege, spürt man das sofort. Die Augen verlieren das Sehen, sie glotzen, weiten sich ein wenig, sind stumpf und ausdruckslos. Alle anderen sind munter, wie geht es aber weiter? Wer rettet? Wie lange hängt er? Geht die Souffleuse rein? Das Ensemble wird hyperaktiv, und trotzdem darf man erst in der Pause darüber lachen, denn so eine Situation ist für den Betroffenen deprimierend. Mir gelingt es, ziemlich schnell Ersatzworte zu finden, Peter Bause kann das auch fantastisch, das muss das Entertainer-Talent in uns sein.
    Für häufig »hängende« Kollegen haben wir einen Spruch: Es spielte für Sie Kollege X, es sprach Eva Böhm.
    Am BE gaben wir Hamlet , Oliver Stern in der Hauptrolle, ich war Horatio. An dem Abend bekamen wir eine neue Souffleuse, die die Aufführung nicht

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