Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
suche sie darin nach Reaktionen. In meinem konnte sie sicher die reine Begeisterung sehen. Sie spielte bei Strehler Theater, unter anderem die Seeräuber-Jenny in der Dreigroschenoper , auch später trat sie damit in seiner französischen Inszenierung auf.
Die Szenerie sehe ich heute noch deutlich vor mir: Benno saß in seiner üblichen Cordhose auf einem Stuhl, die Augenbrauen hochgezogen, intensiv seine Fingernägel betrachtend. Er wirkte fast gelangweilt, als sei er nur der Chauffeur und verstünde von dem Ganzen nichts. Was er sich bei all dem dachte, blieb sein Geheimnis.
Giorgio Strehler besuchte unser Musik-Programm und lobte uns sehr. Dann lud er uns ein in sein Piccolo Teatro, das in einem unscheinbaren Haus etwa fünf Minuten vom Mailänder Dom entfernt liegt. Er hatte dieses Theater 1947 als erstes ständiges Sprechtheater Italiens gegründet. Mit seinen Brecht- und Shakespeare-Inszenierungen erlangte er Berühmtheit in ganz Europa.
Wir sahen Der Prozess der Jeanne d’Arc zu Rouen mit der jungen Maddalena Crippa, die später Peter Stein heiratete. An einem anderen Abend erlebte ich sie noch einmal in Triumph der Liebe , einer zauberhaften Rokoko-Komödie von Marivaux. Ich war ausgehebelt von ihrem Spiel, von dem lichten, heiteren Bühnenbild, das ein ganzer Laubwald war, ich weinte vor Glück und hörte erst auf mit Applaudieren, als außer mir fast niemand mehr im Parkett saß. So eine Art Theater hatte ich nie zuvor gesehen.
Dort in Mailand bestätigte sich für mich einmal mehr, dass die Schauspielerei der einzig richtige Beruf für mich ist.
Vom Rollen lernen und von stillen Feen
Tausend Menschen können tausend Sachen, aber immer wieder fragen mich Menschen, wie ich mir diese vielen Texte merken kann.
Es ist erstaunlich, welche Methoden es gibt, sich ganze Bücher ins Hirn zu pressen, in Hochdeutsch, im Dialekt, in Versen, einzelne, unzusammenhängende Sätze, ellenlange Passagen, endlose Monologe.
Viele Schauspieler schreiben sich die Texte ab und tragen sie den ganzen Tag mit sich herum wie eine Handtasche. Manche arbeiten mit Technik, mit einem iPod oder einem Reportergerät. Einige können ihren Text zur Probe nie oder nur ungefähr.
Da Filme in Häppchen – Takes oder Szenen – gedreht werden, lernt man immer nur Bruchstücke des Textes. Das aber oft im Schnellgang. Am Tag bekommt man den Text, am nächsten Tag oder nachts zum Drehen muss man ihn können. Probiert wird selten oder gar nicht. Es gibt leider auch Drehbücher, in denen die Worte sich nicht organisch sprechen lassen oder so primitiv sind, dass ich mich schä me, sie aufzusagen. Aber die Autoren bestehen auf Texttreue, und in Serien haben Schauspieler kein Mitspracherecht. Zum Beispiel: »Warst du denn gestern Abend schon im Krankenhaus vorbeigegangen? Nein, ich bin schon am Nachmittag im Krankenhaus gewesen, also ich dachte, dass du abends ins Krankenhaus gehst …« So was steht wirklich in manchem Drehbuch. Ich hab da häufig Ladehemmungen.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Filmpartner oft nicht kennen, dass am Set viele Ablenkungen lauern. Und dieser Druck: Es muss sofort klappen.
Ganz anders die Arbeit am Theater. Die meisten Regisseure erwarten, dass jeder seinen Text schon auf der ersten Probe kann. Deren Ungeduld ist viel größer als die der Schauspieler. Das hat zwar den Vorteil, dass man frei ist, aber man hat nur den Text auswendig gelernt, noch nichts probiert. Es ist wie beim Autofahren: Jeder Handgriff sitzt im Schlaf, aber man muss dennoch aufpassen und auf die Umwelt reagieren.
Mich verleitet die Methode allerdings zu Oberflächlichkeit. Den Text schon bei der ersten Probe zu beherrschen ist für mich wie Schule: Man sagt etwas auf und weiß nicht, was es bedeutet. Ich empfinde das als Druck, es schleichen sich falsche Betonungen, ein falscher Rhythmus ein. Ich fühle mich gedeckelt, das fleißige Darbieten des Textes würde meine Fantasie erwürgen.
Nein, ich muss zunächst das Spiel entdecken. Lieber improvisiere ich auf den Proben den Text so lange, bis ich weiß, wie ich jede Situation meiner Figur spielen will, wie ich mich bewege, ob ich sitze, gehe, flüstere, schreie. Einige Texte begreife ich in ihrer Tiefe und Bedeutung häufig erst nach der Premiere. Mit jeder Vorstellung erschließt sich mir eine neue Facette. Ich spreche ihn zwar, bin aber viel zu abgelenkt durch den Gesamtinhalt, durch Vorgänge, die erst einmal meine Aufmerksamkeit erfordern.
Bei Lesungen muss man den Text
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