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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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kannte. Stern trat auf, beschattete mit der Hand die Augen, spielte Erstaunen über Horatios Erscheinen: »Ho, ho!« Die Souffleuse dachte, er hinge, flüsterte: »Horatio!« Stern erneut: »Ho, ho!« Die Souffleuse: »Horatio!« Stern war schon fast an der Rampe, als er nochmals sein »ho, ho« von sich gab, worauf die Souffleuse ganz laut »Horatio!« sagte.
    Da drehte Stern sich um, ging in die Gasse und zischte: »Das weiß ich selber, du blöde Kuh!«
    Früher saßen Souffleusen in der Luke, mittig vor der Bühne. Das Deutsche Theater hatte lange eine solche Luke. Mir ist kein Theater bekannt, an dem es so etwas noch gibt.
    Jetzt werden die Frauen – und es sind immer Frauen, noch nie hat ein Mann souffliert – geschoben von hier nach da, manchmal sitzen sie in einer Gasse, im Winter im Mantel mit Schal und Mütze, denn es zieht wie verrückt, wenn die Bühnentüren offen sind, sie hocken auf einem unbequemen Stuhl, erst nach jahrelangem Kampf ist im Berliner Ensemble ein bequemer Stuhl für Souffleusen angeschafft worden. Sie sitzen da, wo der Regisseur es will. Manchmal sogar in der ersten Reihe zwischen dem Publikum.
    Thomas Langhoff hat Souffleusen immer sehr nett behandelt, hat sie einbezogen in den künstlerischen Prozess. Er fand den Platz, der gut war für sie und für uns Schauspieler, wahrscheinlich, weil er selbst Schauspieler war und diese Not kannte. Und er ließ sie nicht sinnlos ihre Zeit vertrödeln. War an einem Tag nur ein Stück-Ablauf geplant, brauchte die Souffleuse nicht zu kommen.
    Es tut mir weh zu sehen, wenn ein Regisseur die Souffleuse wie ein überflüssiges Möbelstücke behandelt: »Setzen Sie sich mal weiter nach hinten, Sie stören hier ... seien Sie doch nicht so laut, hören Sie auf, der kann den Text ..., nein, die kann den Text überhaupt nicht, bei der müssen Sie immer reingehen ...« Und wenn sie dann vorsagt, heißt es: »Reden Sie nicht immerzu dazwischen!« Muss sie aber, weil der Regisseur das kurz zuvor angeordnet hat.
    Einmal erlebte ich wirklich ein solches Männergehabe um Zentimeter. Er befahl einer Souffleuse: »Zurück. Sehen Sie nicht, dass Sie dort stören? Noch zwei Zentimeter! Nein, noch zwei Zentimeter!!« Wie auf dem Kasernenhof.
    Eine Souffleuse gehört zum Team, und ich glaube mich zu erinnern, dass das früher auch so war. Souffleusen hatten ein Recht auf Mitsprache und haben es konstruktiv wahrgenommen. Nicht nur einmal hab ich von der Souffleuse einen wunderschönen Hinweis bekommen. Wir haben ihn ausprobiert, und er funktionierte. Heute sind sie schlechtbezahlte Dienerinnen.
    War die Vorstellung zu Ende, stand die Souffleuse auf, klappte ihr Buch zu und ging nach Hause. Eva Böhm hat etwas Hinreißendes eingeführt: Wenn das Publikum am Ende klatscht, steht sie, vom Saal aus nicht zu sehen, in ihrem Leselicht in der Seitengasse und applaudiert uns, »ihren« Schauspielern, bis der Applaus im Saal verhallt ist. Als Sonja Behrens ans Theater kam und das sah, war sie so angetan von dieser Geste, dass sie sie übernommen hat.
    Souffleusen hingegen applaudiert nie jemand, sie werden in keiner Kritik erwähnt, sie stehen auf keinem Spielplan.
    Es wird höchste Zeit, dass ich mich endlich in aller Öffentlichkeit verbeuge – von oben links nach unten rechts: Danke, Eva, danke für deine Aufmerksamkeit, deine Geduld, deine Gewissenhaftigkeit!

In der Schweiz
    Ich weiß nicht, ob ich es dem Kunstpreis zu verdanken habe, den ich 1989 bekommen hatte, oder der Hartnäckigkeit von Fritz Bennewitz aus Weimar, jedenfalls bot er mir in jenem Jahr an, in der Schweiz die Antigone zu spielen. Und ich durfte das Angebot annehmen, was damals keineswegs eine Selbstverständlichkeit war.
    41 Jahre zuvor war genau in jenem kleinen Stadttheater in Chur Die Antigone des Sophokles in Brechts Bearbeitung nach der Hölderlinschen Übertragung uraufgeführt worden. Regie führten Brecht und Caspar Neher, in der Titelrolle Helene Weigel. Diese Aufführung ging in die Theatergeschichte ein, weil die Weigel nach rund zehn Jahren, in denen sie nicht hatte spielen können, erstmals wieder auf einer Bühne stand.
    Im Frühjahr 1989 kamen die Schauspieler aus Westberlin, Westdeutschland und der Schweiz in Chur zusammen, aus Ostberlin außer mir Wolf Kaiser. Der Schweizer Hans Gaugler, der bei der Uraufführung den Kreon gegeben hatte, spielte nun, mit 76 Jahren, den Boten.
    Wunderbar, nicht nur für mich, Wolf Kaiser als den blinden, weitsichtigen Tiresias zu erleben. Schwerfällig

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