Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Kinder nicht sehr, eine Prinzessin zu retten fanden sie viel spannender, als Bahnhöfe und Straßen zu kaufen. Wenn wir Zeit haben, spielen wir heute noch diese Spiele. Tolle Shirts brachte ich mit; die mittlerweile uralten Baumwoll-Fummel taugen noch für die Gartenarbeit, und der Reithelm meiner Tochter passt lebenslang.
Mann und Kinder durften mich nicht besuchen, aber meine damals sehr kranke Freundin Siegrun durfte ich einladen und ihr damit einen Traum erfüllen. Die frühe Diagnose ihrer Krankheit, sicher aber auch die Zeit in der Schweiz haben ihr geholfen, gesund zu werden.
Vor den Theaterferien spielten wir noch in Zürich, dann verabschiedeten wir uns bis zum Herbst. Die Intendanz schenkte jedem Ensemblemitglied eine wunderbare Flasche Rotwein, eingepackt in ebenso rotes Papier. Damals durfte man Getränke noch als Handgepäck mit ins Flugzeug nehmen. Leider ließ ich bei einer stürmischen Abschieds-Umarmung meine Reisetasche auf den Boden fallen. Die Flasche zerknallte und färbte den Inhalt blutrot. Blöderweise auch meinen Pass der Deutschen Demokratischen Republik. Das machte bei der Einreise keinen guten Eindruck. Aber weil alles klebrig und verfärbt war und nach Wein stank, glaubte man mir.
Die DDR im August, September, Oktober 1989 – das Land kochte vor Unruhe und Aufbruch. Der 40. Jahrestag der DDR sollte nach dem Willen der Staatsführung pompös begangen werden. Dazu war ein Gastspiel der Sichuan-Oper geplant. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens hatte die chinesische Parteiführung jegliche Auslandsreisen verboten. Das Zürcher Tonhalle-Orchester, das in jenem Oktober in Westberlin gastierte, lehnte ab einzuspringen, weil den Mitgliedern die Situation in Ostberlin zu ungemütlich erschien. Das Churer Ensemble jedoch, das ich über die politische Lage informiert hatte, wollte gern in Berlin spielen. Ich schlug es Georg Eckle vor, und der setzte sich mit dem Berliner Festtagsbüro in Verbindung. Für Wolf Kaiser galt ein Auftritt in Berlin unendlich viel, ebenso für Fritz Bennewitz, der zwar mit seinen Brecht-Experimenten im fernen Indien Anerkennung genossen hatte, aber auch Lust auf heimisches Lob hatte.
Wir gastierten am 9. und 10. Oktober im Deutschen Theater. Alle trafen wegen einer Durchsprechprobe und einer Bühnenbesprechung schon am 6. Oktober ein. So erlebten die Schweizer Kollegen den 7. Oktober als einen gespenstischen Staatsfeiertag. Irreal wirkte die Situation auf sie. Sie besuchten am Nachmittag Kirchen, weil sich dort so viele Menschen versammelten. Felix Benesch, einer der Männer von Theben, äußerte sich noch Tage später schockiert über die grell beleuchtete, irrsinnige Grenze, die er aus dem Flugzeug wahrgenommen hatte. Die Dramaturgin Gisela Kuoni gruselte sich angesichts der Militärparade und der Soldaten, die im Stechschritt durch die Karl-Marx-Allee gezogen waren. Der Präsident der Theatergenossenschaft Andrea Engi sah von seinem Zimmer im Hotel Stadt Berlin auf die schweigende Menschenmenge mit Kerzen, in den umliegenden Straßen Militärfahrzeuge, die dann mit Wasserwerfern den Platz räumten.
Am Abend saßen wir in einer kleinen Kneipe an der Zionskirche beim Wein. Über der Stadt lag eine Stimmung wie vor einem Gewitter.
Bei den beiden Aufführungen der Antigone im Deutschen Theater elektrisierten Sätze wie »Weniger sind es geworden in der Stadt, seit du herrschst, und werden noch weniger« oder »Die Mauer setzt er ums Eigene, und die Mauer – niedergerissen muss sie sein!« die Zuschauer. Es waren brisante, hochaktuelle Texte, die das Publikum mit Raunen, Lachen, Klatschen quittierte.
Ich erinnere mich an tosenden Applaus bei folgender Szene:
Antigone: »Besser zwischen den Trümmern der eigenen Stadt säßen wir doch und sicherer auch als mit dir in den Häusern des Feinds.«
Kreon: »Immer nur die Nase neben dir siehst du, aber des Staats Ordnung, die göttliche, siehst du nicht.«
Antigone: »Göttlich mag sie wohl sein, aber ich wollte sie doch lieber menschlich, Kreon.«
Einige Ostberliner Zeitungen vermerkten den »ungewöhnlich starken Beifall«. Und das Neue Deutschland schrieb Tage später: »Das Gastspiel anlässlich der Berliner Festtage im Deutschen Theater traf auf ein hellwaches, kommunikationsbereites Publikum. Doch die Aufführung im Bühnenbild Franz Havemanns, eine barbarische Schädelstätte, blieb bis auf ein paar aktuell wirkende Sentenzen sichtlich fern und diffus. Zwei Darsteller versöhnten:
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