Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
denen es nichts zum Spielen gibt, in denen die leeren Tage im Kalender wirklich leer sind, in denen sich Angst breitmacht. Die Angst, alles zu verlernen, womit man einmal glänzen konnte, die fürchterliche Angst, vergessen zu werden von Regisseuren und Besetzungsbüros. In unserem Beruf kann man nicht Hier! schreien, man wird besetzt oder eben nicht. Manchmal verlässt einen das Glück, oder der Spielplan gibt nichts her für einen bestimmten Typ, oder ein Regisseur kennt oder mag jemanden nicht.
War ich mal eine Weile nicht besetzt, freute sich zunächst meine Familie. »Wenn du nicht Theater spielst, sondern mit uns, spielt es sich viel schöner«, sagte mein Sohn einmal. Beide Kinder durften im Kindergarten glückliche »Mittagskinder« sein. Ich lag mit ihnen bäuchlings auf der Erde und baute Legolandschaften, fuhr mit ihnen in den Tierpark, las bis zur Ohnmacht Märchen vor, kochte ihre Lieblingsspeisen, röstete Puffmais in der Pfanne zu Popkorn. Aber bald schon wurde ich rappelig und suchte mir Aufgaben. An der Volksbühne arbeiteten in den siebziger Jahren etliche Regisseure, die offen waren für Ideen. Damals schlug ich vor, im Sternfoyer Rameaus Neffe zu spielen, ich arbeitete mit Fritz Decho an der Regie eines Sittenbilds der Antike , das Programm nannten wir Die Pfeile des Eros . Ich konnte meine Bilder ausstellen, und in der Kantine beredeten wir mögliche Projekte. Dort saßen häufig genug Heiner Müller, die Brasch-Brüder Thomas und Klaus, der Besson-Schüler Dimiter Gottscheff, der nach Biermanns Ausbürgerung in seine Heimat Bulgarien ging, und etliche andere. Gottscheff kehrte bald zurück und machte sich an der Volksbühne und am DT einen Namen mit großen Inszenierungen, unter anderen mit Sophie Rois und Samuel Finzi.
Komplizierter war das Lückenfüllen am BE . Ging es um Brecht-Stücke, hatten die Erben ein Mitspracherecht bei der Besetzung, da blieb einem nichts weiter übrig, als auf Mitwirkung zu hoffen. Wenn nicht – Pech gehabt.
Wobei Besetzungs-Entscheidungen grundsätzlich nicht gegen die Qualität eines Schauspielers sprechen, da spielen der Typ, die Art des Spiels eine Rolle. Manche Regisseure begründen ihre Entscheidung mit der Konzeption, manchmal geht es auch einfach um Sympathien und Antipathien. Wer kann das schon im Einzelnen nachvollziehen – wir Schauspieler jedenfalls nicht. Es gab einige Rollen, von denen ich glaubte, das seien genau meine, und der Regisseur war ganz anderer Ansicht. Aber so ist das Leben.
Mit einem Regisseur legte ich mich mehrere Male an, ich habe ihm nicht nur widersprochen, sondern ihm wohl zu deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ihn für unfähig hielt. So etwas nimmt kein Mann einfach hin. Er warf mir politische Unzuverlässigkeit vor. Die Begründung blieb er mir schuldig, aber so ein Vorwurf galt in der DDR als Totschlag-Argument. Auf diese Weise kaltgestellt zu sein, rief in mir kreativen Zorn hervor. Ich begann wieder, an den Schauspielschulen zu unterrichten, erarbeitete Texte für eigene Leseabende, malte Bilder – und bei all den schönen Beschäftigungen nährte ich den festen Willen, es bald wieder allen zu zeigen.
In einer solchen Pause kam ich auf die Idee, ein Brecht-Programm zu erarbeiten. Ein Solo-Programm wollte man nicht von einer politisch Unzuverlässigen, also suchte ich einen Partner, den fand ich in Hans-Peter Reinecke. Wir passten hervorragend zusammen: Pit, »der proletarische Held, und die vitale, quirlige, schrille Person mit dem Charme von Chaplin« – so wurden wir einmal beschrieben.
Dazu der Pianist Karl-Heinz Nehring, der beglückt war von meiner Stimme, der gut mit mir arbeitete und dem ich viel verdanke, nicht nur technische Finessen und richtige Atmung. Er hat mir den Mut zu sehr hohen Tönen abverlangt und mir Lieder zugetraut, an die ich mich musikalisch ohne seine Unterstützung kaum gewagt hätte.
Ich stellte die Texte zusammen, und bald umfasste unser Repertoire mehr als fünfzig Lieder. Ich bekam die Genehmigung von Barbara Schall, der Brecht-Erbin, denn wer Brecht singen durfte, entschieden sie und ihr Mann Ekkehard Schall.
Aus dieser, durch Frust und Zorn entstandenen Idee wuchs eine neue, wunderbare Aufgabe. Wir drei bekamen Einladungen nach Paris, nach Polen, Schweden, England, in die Türkei, nach Griechenland.
Später folgten ähnliche Programme mit Johanna Schall, dann mit Manfred Karge, ein weiteres mit Pit Reinecke, ein Soloprogramm.
Übrigens bin ich Bundesbürgerin schon seit dem 5.
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