Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
– von mir war wirklich nur das Gesicht zu sehen.
Wieder begann ein Geschrei der Moralwächter, das Peymann und ich mit Geschrei beantworteten. Ich durfte in diesem Kostüm auf die Bühne. So ging ich fünf Minuten, bevor sich der Vorhang hob, als Courage den Gang entlang Richtung Bühne, als das nächste Gezeter anhub: Ich trug die Perücke der Courage. Doch mit Haar auf dem Kopf darf nicht gespielt werden, es muss bedeckt sein. Punkt.
Die Nerven zum Zerreißen gespannt, erklärten wir, das sei eine angeklebte Perücke, eine Perücke habe bekanntlich Haare, meine eigenen seien darunter und nicht sichtbar. Die Männer blieben stur, Haare jeglicher Art auf Frauenköpfen haben unsichtbar zu sein. Was jetzt?
Peymann ging mit mir zurück in meine Garderobe. Wir hielten Kriegsrat. Doch abreisen? Nicht spielen?
Es lief dann so: Die Maskenbildnerin löste die Perücke wieder ab, mein Garderobier Andreas zerschnitt einen schwarzen Nylonstrumpf und zauberte daraus eine Kappe, meine eigenen blonden Fusseln wurden mit Haarklemmen geschneckelt, darauf stülpte er die Strumpfkappe. Ich bekam frischen Mastix, das ist ein Perückenkleber, auf die Haut geschmiert und ging mit der Perücke in der Hand auf die Bühne. Der Vorhang hob sich, und ich klebte mir selbst ohne Spiegel vor dem Publikum die Perücke auf die Strumpfkappe, darauf setzte ich dann den Hut. Ein ungewöhnlicher Start für eine Courage, eine ungewöhnliche Aufregung vor einem Auftritt, aber Zorn und Fassungslosigkeit setzen bekanntlich ungeahnte Kräfte frei.
Als ich in einem Bild meinen Sohn Eilif in den Kriegswirren wiederfand, stürmte ich wie gewohnt auf Winfried Goos zu, stoppte meinen Lauf aber kurz zuvor mit ausgebreiteten Armen. Lacher im Publikum, man ahnte wohl, was mich bewogen hatte zu bremsen.
Beim Applaus fassten wir uns an den Händen, ließen uns dann aber schnell los, als hätten wir uns an heißen Kartoffeln verbrannt. Auch diese Geste quittierte der Saal mit dröhnendem Beifall.
Trotz all der Querelen wurde es eine kraftvolle, freche, erfolgreiche Vorstellung. Sie wurde ausgezeichnet mit ersten Preisen für die Inszenierung und für uns Darsteller.
Ahmadinedschad hat die Hoffnungen des iranischen Volkes auf Öffnung und Liberalisierung vorläufig erstickt. Doch ich denke, dass wir mit unserem Gastspiel ein Zeichen gesetzt haben.
Noch eine Auszeichnung wurde mir zuteil. Ein Sponsor des Festivals, ein Scheich, bot mir an, seine vierte Frau zu werden. Ich solle ihn unbedingt besuchen, er würde mich gut behandeln. Jeden Tag saß er im Hotel und wartete auf mich, er schenkte mir seine Lieblingsgebetskette und hoffte.
Ein Lichtblick war für mich die Begegnung mit dem damaligen Leiter des Teheraner ZDF -Studios, Ulrich Tilgner. Nach einem Interview zeigte er mir die Schönheiten dieser Stadt, die Parks und Moscheen, erzählte einfühlsam vom Alltag der Menschen. Er hat meinen Zorn auf dieses Land ein wenig gemildert.
Brasilianische Begegnung
Auf jedem Fleckchen dieser Erde lebt mindestens eine beseelte Person, die für das Theater glüht. In Porto Alegre, einer Millionenstadt in Brasilien, fast an der Grenze zu Uruguay gelegen, ist das Eva Sopher. Sie war über sechzig Jahre alt, als sie ihren Lebenstraum verwirklichte und das in portugiesischem Barock erbaute Teatro São Pedro restaurieren ließ. Nun, mit fast neunzig Jahren, erfüllte sie sich einen weiteren Traum und lud das BE mit der Mutter Courage anlässlich eines Festivals in ihr Theater ein.
Im September 2012 flogen wir nach Brasilien. Meist reisen wir in drei Gruppen: zuerst die Techniker-Crew und der Bühnenmeister, dann die Hauptdarsteller und die älteren Kollegen, zuletzt die anderen Ensemblemitglieder. Die Techniker hatten Pech, denn das Kabinenpersonal der Lufthansa streikte, sie mussten den Zug nach Frankfurt nehmen. Dann landeten sie wegen einer Sturmwarnung nicht in São Paulo, sondern irgendwo anders. Sie waren 25 Stunden unterwegs. Wir nur 17 Stunden: Berlin – Frankfurt am Main – São Paulo – Porte Alegre. Drei Starts und drei Landungen, dreimal Wasserflasche leeren und neu füllen, weil man keine Flüssigkeiten durch die Kontrollen mitnehmen darf. Da weiß man, was Wasser wert ist. Und dreimal die bange Frage: Landet mein Gepäck mit mir?
An einem Montag flogen wir los, am Dienstag Vormittag kamen wir an, Mittwoch und Donnerstag Probe, am Abend die erste Vorstellung, Freitag und Samstag zwei weitere, Sonntag Mittag Rückflug, Montag Abend Landung in Berlin. Von
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