Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
bekannt wurde, protestierten Menschen vor unserem Haus am Schiffbauerdamm: Das BE würde ein Land unterstützen, dessen Diktator ein Mörder ist. Es waren nicht viele Demonstranten, aber sie erregten Aufmerksamkeit.
Wir kamen in ein völlig anderes Land. Derselbe Flughafen, dasselbe Hotel. In meinem Zimmer ließ ein Loch den Blick in den Himmel frei, in einer Nacht musste ich mehrmals das Regenwasser aus dem darunterstehenden Eimer leeren.
In allen Fernsehern, in den Zimmern, im Foyer, auf der Straße, lief eine Rede des Mahmud Ahmadinedschad als Dauerschleife, den ganzen Tag. Zwischendurch wurde immer wieder jubelndes Volk eingeblendet. Es nervte kolossal.
Auf dem Marktplatz vor dem Basar und in den Straßen patrouillierten Moralwächter, die hysterisch jede Frau zurechtwiesen, erblickten sie unter deren Kopftuch auch nur ein Haar. Wer Widerspruch erhob oder sonst etwas Unerwünschtes sagte, verschwand in einem Bus. Abseits stand ein großes Kranauto. Einige Zeit zuvor hatte ich zu Hause im Fernsehen mit Entsetzen gesehen, wie eine Frau und drei Männer öffentlich gehenkt worden waren – der Galgen hatte auf einem solchen Kranauto gestanden. Ob das dieses Auto gewesen war? Ich musste meine Fantasie stoppen, den Film in meinem Hirn ausschalten.
Wo immer ich bin auf dieser Welt, schicke ich bunte Postkarten an Freunde und Nachbarn. In Teheran suchte ich vergeblich danach. Ich sah nicht ein einziges Geschäft mit dem in aller Welt üblichen Kram für Touristen. In einer Post gab es Briefumschläge ohne Verschluss, dafür mit religiösen Motiven. Verlangte man danach, wurde man gefragt, wohin der Brief gehen solle und warum. Ich habe das Kartenschreiben gelassen.
Was wir dann im Theater erlebten, übertraf unser Vorstellungsvermögen. Peymann wollte mehr als einmal abreisen.
Man muss sich einen langen, schmalen Gang vorstellen, von dem viele Türen abgehen – Garderoben für die Schauspieler, die Maske, der Raum für die Garderobieren, der für die Technik, die Toiletten und die Duschen. Auf diesem Korridor läuft dauernd jemand hin und her, Tür auf, Tür zu. Die ungewohnte Situation, die Aufregungen und Änderungen bei einem Gastspiel verdoppeln das Tempo des Hin und Her. Auf diesem Gang saßen rechts und links Moralpolizisten, deren Aufgabe darin bestand, jede Bewegung argwöhnisch zu verfolgen und zu kontrollieren. Einmal zur Toilette gehen bedeutete, alles bedecken, Kopftuch auf, den Gang entlang unter den Blicken dieser Männer. Etwas mit jemandem in einem anderen Raum bereden, das ganze Getue von vorne.
Als erschwerend erwies sich, dass ich einen männlichen Garderobier habe, eine Unmöglichkeit in diesem Land! Kam Andreas Zahn in die Nähe meiner Tür, hielt ihn einer der Wächter laut schimpfend zurück. Sobald ich das Getöse hörte, öffnete ich meine Tür und zog ihn rein. Die Wächter spektakelten draußen weiter. Schließlich verlangte ich nach einem Dolmetscher, dem ich erklärte, Andreas sei mein Bruder, der mich bewache. Dann war Ruhe. Fürs Erste.
Zwei Tage vor unserer Vorstellung hatte Ahmadinedschad in dieser Halle eine Rede gehalten. Aus diesem Anlass hatten seine Sicherheitsleute das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Dabei waren sie auf unsere Requisitenkisten gestoßen, in denen sich Gewehre und eine Pistole befanden. Schließlich spielt das Stück im Dreißigjährigen Krieg. Die Waffen wurden beschlagnahmt. Nach Peymanns heftiger Intervention wurden die Gewehre zurückgegeben, die Pistole nicht. Der Besitz von Pistolen sei nur staatlichen Organen erlaubt. Warum für Gewehre eine andere Regelung gilt, blieb im Nebel. Die stumme Kattrin wird aber mit einer Pistole erschossen. Nach etlichen Telefonaten mit »höchsten Stellen« wurde die Pistole zurückgegeben, allerdings hatte man sie funktionsuntüchtig gemacht. Peymann tobte, ohne Pistole keine Aufführung. Er wollte abreisen. Das Gezerre dauerte an, schließlich entschied er, Kattrin mit einem Gewehr erschießen zu lassen. Das Publikum sollte nicht enttäuscht werden.
Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn berichtete irgendjemand Peymann, während der Probe habe man etwas von meiner Unterwäsche gesehen, so sei kein Auftritt möglich. Außer meiner Unterwäsche trug ich eine dicke schwarze, absolut undurchsichtige Strumpfhose, darüber einen langen Rock, eine schwarze Bluse, deren Ärmel extra für das Teheran-Gastspiel verlängert worden waren, sodass sie die Hände bis zu den Fingern verdeckten. Darüber ein Sakko, dicke Socken
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