Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
unglaublich.
Nach der Vorstellung trafen wir im Hof des Theaters etliche Zuschauer. Die Gespräche versöhnten uns mit dem ungewohnten Spiel. Die jungen Leute zeigten überhaupt keine Scheu, sprachen flüssiges Englisch, interessierten sich für europäisches Theater. Sie trugen die Kopftücher leger umgelegt, hier und da lugte eine Haarsträhne hervor. Ich war erleichtert, dieses junge, moderne Bild von Teheran zu sehen.
Die Botschaft gab für uns nach der ersten Vorstellung einen Empfang, endlich bekamen unsere Kollegen ein Bier, die Damen ein Glas Wein. Ich erwähne das, weil man sonst nirgends auch nur einen Tropfen Alkohol findet.
Dass man auch Alkohol trank und ein ungezwungenes Leben ohne Kopftuch führte, erfuhr ich durch Michael Wenzel, einen sehr netten Pfarrer aus Halle, der islamisch-protestantische Ehen betreute. Er betrieb im wahrsten Sinne des Wortes Seelsorge. Er lud mich zu einer Tour in die Berge ein, um etwas mehr zu sehen vom Land. Mit ihm bin ich bis heute befreundet.
Die Stadt ist umschlossen vom Elbrusgebirge. In der Unterstadt wohnen die Armen, der Wohlstand zeigt sich an der Höhe des Wohnsitzes.
Wir fuhren mit einem Jeep nach »oben«. Mehrmals hielten uns Männer an, die den Pfarrer fragten, was er allein mit einer Frau mache. Ich habe nicht genau verstanden, was Michael erklärte, wir durften jedenfalls weiterfahren. Irgendwo luden uns zwei Männer zu einem Tee ein. Ich erfuhr, dass sie das Trinkwasser der Stadt bewachten.
Es war Februar, die Vermummung hatte wenigstens einen wärmenden Effekt. Die Straßen boten einen ungewöhnlichen Anblick: Keine Farben, keine Geschäfte mit Blumen, keine mit Kosmetika, die Mode in den Schaufenstern nur für Männer.
Die Frauen huschten mit gesenkten Blicken an den Hauswänden entlang – Frauen im schwarzen Mantel mit Kopftuch, Frauen unter schwarzem Tschador, manche ließen nur einen Sehschlitz frei, Frauen, die vor dem Sehschlitz sogar noch eine Art Schutzbrille trugen. Die Männer hingegen promenierten breitbeinig und gemächlich, wichtig-wichtig, ihre Gebetsketten schwingend. Keine Musik war zu hören, ab und zu rief ein Muezzin zum Gebet.
Ich sah das Meer und die stillgelegten Skipisten, die noch unter der Herrschaft des Schahs angelegt worden waren.
Beeindruckend ist der Basar: über zehntausend Läden unter einem Dach, es ist der größte Basar der Welt. An einem Stand mit Damenwäsche drängte sich eine Traube von Männern, ihre schwarz verhüllten Frauen beschirmend. Die Männer suchten die Wäschestücke aus.
Ich kaufte kandierte Nüsse und Safran. Das kannte ich nur aus dem Kinderlied »Safran macht den Kuchen gehl ...« Schon früher konnte ich mir nichts darunter vorstellen, wusste nur, es ist eines der teuersten Gewürze der Welt, »rotes Gold«. Nun hatte ich Safran.
Das Kopftuch nervte mich sehr. Allein in meinem Hotelzimmer und in der Garderobe durfte ich es absetzen. Ich schwitzte darunter. Im Restaurant kam ich mir vor, als würde ich in Skiausrüstung essen. Kein einzelnes Haar durfte vorgucken. Mein Leben lang trage ich Pony, den musste ich zurückkämmen. Nahm ich abends das Tuch ab, sah ich aus wie ein Rosettenmeerschweinchen, das in den Regen gekommen war.
Ich konnte mir nicht vorstellen, als Frau in diesem Land zu leben.
2008 lud uns das Dramatic Arts Center of Iran zum zweiten Mal zu diesem Festival ein. Diesmal sollten wir mit der Mutter Courage kommen.
Wie ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, ist Bertolt Brecht im Iran einer der beliebtesten deutschsprachigen Schriftsteller. Fast alle seine Dramen sind ins Persische übersetzt worden. Und Claus Peymann genießt unter iranischen Theaterleuten einen hervorragenden Ruf.
Er war sehr fair, fragte uns, ob wir die Einladung annehmen wollten oder nicht. Die inzwischen veränderte politische Lage dort war uns bekannt, das Mittelalter hatte wieder Einzug gehalten. Dass es möglich ist, im 21. Jahrhundert Frauen öffentlich zu steinigen, erschüttert mich. Die Atompolitik Ahmadinedschads und sein Hass auf Israel sind abstoßend und erschreckend. Peymann nannte uns gute Argumente für und gegen eine solche Reise.
Ich erinnerte mich an den Enthusiasmus der jungen iranischen Besucher sechs Jahre zuvor, an ihr Interesse am Theater. Und ich dachte an die Courage, die ich spielte – ich fand es richtig und wichtig, noch einmal in dieses Land zu reisen, wollte mich couragiert verhalten und nicht verweigern.
Als unsere Zusage auf diese Einladung in der Berliner Öffentlichkeit
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