Im Leben wird dir nichts geschenkt.
schneller geht. Aber jetzt ist es allmählich so weit. Ich fühle mich wirklich entspannt und habe kein bisschen Angst. Zum ersten Mal seit Langem tut mir weder physisch noch seelisch etwas weh. Irgendwie scheint sich mir der Magen umzudrehen. Ich habe so viel geweint – es kommt mir so vor, als hätte ich seit Jahren jeden Tag geweint. Ich habe mich an diese unerträgliche Qual so gewöhnt, dass ich erst jetzt, als sie plötzlich nicht mehr da ist, merke, wie sehr ich gelitten habe.
Keine Lügen mehr, keine Schuldkomplexe, keine Gefühle. Die Welt verblasst ringsum und mit ihr auch dieses Spiegelbild, das ich nicht wiedererkannte. Ich lächle, lächle, ziehe mich allmählich aus dem Bild zurück. Mein letzter Gedanke geht an Marilyn Monroe, als sie die Überdosis genommen hat. Ich bin wieder zu Boden gesackt, doch ich spüre es nicht.
KAPITEL ZWEI
VON KOPENHAGEN ZUM CATWALK
I ch komme aus einer sehr kleinen Vorstadt namens Rødovre im Nordwesten von Kopenhagen. Gediegen, aber nicht glamourös. Es ist ein See in der Nähe, der einen Tagesausflug lohnt.
Mein Ausblick fürs Leben war eine berufliche Tätigkeit als Bibliothekarin, wie meine Mutter, oder auch als Verkäuferin. Ich hatte eine Stelle in einer Bäckerei und hätte nichts dagegen gehabt zu bleiben. Ich wäre damit zufrieden gewesen, für meinen jährlichen Pauschalurlaub zu sparen, und meine Träume hätten sich auf ein etwas größeres Haus oder ein besseres Auto beschränkt. Ich wäre für meine Zuverlässigkeit bei der Arbeit bekannt und meinen 2,4 Kindern eine gute Mutter. Die Kinder wären gut im Sport und wären musikalisch talentiert, sodass sie es vielleicht in eine TV-Talentshow schaffen. Es wäre nicht das Drehbuch für einen Blockbuster gewesen, aber das wäre in etwa passiert. Doch es sollte anders kommen. Bei meiner Geschichte war Zufall im Spiel, doch weitgehend habe ich sie selbst geschrieben. In der anderen Realität wäre die kleine Gitte nie über Dänemark hinausgelangt, hätte sich um ihre Kinder gekümmert und wäre damit völlig zufrieden gewesen. Selbst jetzt denke ich immer noch, dass ich vielleicht zurückgehen und in dieser Bücherei arbeiten oder die Bäckerin um die Ecke sein könnte.
Als ich mich hinsetzte, um meine Geschichte zu schreiben, habe ich mich gefragt, weshalb die Dinge so und nicht anders gelaufen sind. Ich habe versucht, mir auf einige der düsteren Erfahrungen einen Reim zu machen, und ich dachte mir, dass es alles so ganz anders hätte kommen können. Doch irgendwann setzte sich die Überzeugung bei mir durch, dass ich über das, was ich tat, nicht allzu viel Kontrolle hatte. Du hast nur dieses eine Leben, und es läuft nie so glatt, wie du es dir vorstellst. Es ist aus all diesen verschiedenen Fäden gewoben, und die Fäden haben Knoten, die du nicht mal siehst, bis du zurücktrittst und einen gründlichen Blick auf dich wirfst. In dem Moment, in dem du dich ruhig betrachtest, gelangst du an den Knoten vorbei und kannst dann weitergehen. Die meisten von uns haben einfach nicht die Zeit, über ihre Motive nachzudenken. Man führt einfach sein Leben mit allen Fehlern und Unzulänglichkeiten wie auch den Geistesblitzen. Über sich zu schreiben, ist tatsächlich eine seltsame Sache, da man zum ersten Mal gründlich über alles nachdenkt.
Zumindest weiß ich genau, wo alles für mich begann. Im Sommer 1978 war ich sechzehn und zu einem berühmten Platz in Kopenhagen unterwegs, den wir als Gr å br ød retorv bezeichnen. Er wimmelt von Kneipen, in denen immer Musik spielt, und ist bei den Touristen sehr beliebt – wie auch bei jungen Mädchen aus der Vorstadt, die sich verzweifelt nach ein bisschen Abenteuer in ihrem Leben sehnen. Es war ein Donnerstag, und die ewigen Schulhof-Hänseleien und das Gespött sollten bald verstummen. Ich sollte mir Respekt verschaffen; jemand werden, zu dem die Leute aufsahen, eine Frau, der man jeden Wunsch von den Lippen ablas. Es würde wie im Märchen. Und wie immer im Märchen war dafür ein hoher Preis zu zahlen.
Ich war mit meiner Freundin Susanne unterwegs, und wir hatten ein paar Stunden lang in den Geschäften in unserer Gegend nach Kleidern und Schuhen gesucht, bevor wir mit dem Bus ins Zentrum fuhren. Wir waren so aufgeregt. Für jemanden wie uns, der aus der tristeren Gegend unserer Stadt kam, war das Zentrum von Kopenhagen immer faszinierend und voller Leben. Wir hatten nicht viel Geld zur Verfügung, aber wir genossen einen Schaufensterbummel. Kopenhagen ist eine
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