Im Licht der roten Erde
paar Worte in seiner Sprache, dann blickte er wieder die Leute an, die es ihm ermöglicht hatten, an diesen heiligen Ort zurückzukehren. Die Gruppe sah ihn erwartungsvoll an.
Alan hockte sich neben Beth und warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu, den sie erwiderte. »Ja«, flüsterte sie. »Das Babytuch.«
Alan spürte, wie sein Adrenalinspiegel in die Höhe schoss, und wollte gerade etwas sagen, als Beth ihren Finger auf die Lippen legte.
Ardjani hatte begonnen, eine Kurzfassung der tragischen Geschichte von der Eule Dumbi zu erzählen: »Der kleine Vogel wurde von zwei ungehorsamen Jungen geärgert. Sie rupften ihm die Federn aus und steckten stattdessen Süßholzgras hinein, so dass er nicht mehr fliegen konnte. Wegen dieses Vergehens wurden die Eltern der Jungen bestraft. Sie kamen alle ums Leben.«
»Aber es war doch nicht die Schuld der Eltern«, wandte Susan ein, schockiert über die Strenge des Gesetzes.
»Das sagt die Kultur der Weißen«, erwiderte Rusty. »Die Erziehungsmethoden der Barradja sind völlig anders.«
»Diese beiden Jungen waren grausam zu der kleinen Eule. Sie waren etwa dreizehn, vierzehn Jahre alt. Zu dieser Zeit ist es für sie tabu, mit Mädchen zusammen zu sein, bestimmte heilige Plätze aufzusuchen oder verschiedenen Zeremonien beizuwohnen. Sie müssen ihre Initiation beginnen. Sie wissen, dass sie unser Gesetz zu befolgen haben«, sagte Ardjani. »In diesem Alter trennen wir die Jungen von ihren Familien und lassen sie von den alten Männern unterweisen, bis ihre Intitiation vollzogen ist und sie zu Männern geworden sind. Die Ältesten führen die Barradja-Jungen ins Erwachsenenleben ein.«
»Sie sehen ihre Familien noch«, erklärte Digger, »aber sie gehören zu uns Ältesten, damit wir sie das Gesetz lehren können. Außerdem müssen sie Mut- und Kraftproben bestehen.«
»Ich werde euch ein Beispiel erzählen«, sagte Ardjani. »Ihr könnt euch vorstellen, wie heiß ein gebratenes Känguru ist. Der Junge muss das Tier aus dem Ofen in der Erde nehmen, es auf seine Schulter legen und damit durch die Gegend laufen, während die siedenden Säfte über seinen Rücken rinnen.«
Alistair beugte sich zu Mick. »Und ich habe Jungeninternate immer für hart gehalten.«
»Wenn sie in einer Stadt aufwachsen, schauen die Kinder vermutlich Fernsehen, spielen Fußball und machen den dortigen Polizisten die Hölle heiß. Merkwürdige Sache, nicht wahr?«
Beth fing die Bemerkung des Richters auf und deutete auf die Ältesten, die auf einer Seite saßen und zuhörten. »Diese alten Männer sind wachsam und sehr streng mit den Jungen, und die Jungen wiederum respektieren, was die Alten sagen. In unserer Kultur ist das zum großen Teil verlorengegangen. Viele Väter scheuen heutzutage die Auseinandersetzung mit ihren pubertierenden Söhnen, denn ihnen sitzt der Staat im Nacken. Wenn Kinder sich darüber beschweren, dass ihre Eltern sie anschreien oder ihnen verbieten, mit ihren Freunden bestimmte Plätze aufzusuchen, treten die Sozialarbeiter auf den Plan und sagen: ›Wenn du zu Hause nicht glücklich bist, kannst du doch einfach gehen. Schließlich gibt es die Angebote für jugendliche Obdachlose.‹ Also sagen die Teenager: ›Zieh Leine, Dad, die Regierung kümmert sich schon um mich.‹« Der Richter schüttelte den Kopf. »Es wundert mich wirklich, was im Namen des Fortschritts in unserer sogenannten kultivierten Gesellschaft aus der Verantwortung für Familie und Erziehung geworden ist.«
Beth nickte. »Wie die Dumbi-Geschichte nahelegt: In der Gemeinschaft der Barradja werden die Eltern für das Vergehen ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen. Doch wenn unsere Kinder mangelnden Respekt zeigen, Tiere, Menschen und das Land malträtieren, zögert die Regierung, die Eltern für deren Fehlverhalten zu bestrafen. Stattdessen bestrafen wir das Kind. Der Staat untergräbt die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder.«
Sofort erhob Alistair Einspruch. »Das mag vielleicht so sein, Beth, doch wenngleich diese Art des Heranwachsens, diese Intitiation für die Jungen der Barradja bewundernswert ist, ist sie nicht die Antwort für unsere Gesellschaft.«
Beth zog die Augenbrauen hoch. »Nicht, Alistair? Ich frage mich, ob es nicht etwas gibt, das wir von ihnen lernen können. Ich wette, für eine Menge Straßenkinder, die drogenabhängig sind und ihre Sucht durch Prostitution finanzieren, könnte das durchaus sinnvoll sein.«
»Kapiert«, sagte Alistair und wandte sich an Ardjani.
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