Im Licht der roten Erde
Erde.
Hör auf mein Lied und wisse, es ist wahr.
Es ist in einem Traum, es ist das, was in der Erde ist, in den Blättern und Bäumen, im Wasser und in den Felsen um dich herum.
Es ist Teil von dir, und es verleiht dir Wissen und Empfinden.
Dein Samen wird eins sein mit deiner Mutter Erde.
Achte sie.
In diesem Augenblick sprang Rowena auf und rannte zurück ins Lager. Die Frauen sagten nichts, als hätten sie es nicht bemerkt. Jede war in ihr eigenes Selbstempfinden gehüllt. Und keine sah die Tränen, die langsam Veronicas Wangen hinabrollten.
Wieder fing Jennifer an zu sprechen und wiegte dabei ihr schlafendes Baby. Sie fasste zwischen ihre gespreizten Beine und schöpfte eine Handvoll Erde. »Die Erde ist schwanger. Samen gedeihen an diesem Ort, sie teilen ihr Geschick mit uns. Wir sind die Erde, die empfängt und Leben nährt. Unsere Schöße sind mit dem von Mutter Erde verbunden. Die Veränderungen in unserem Körper, wenn unser Baby in uns wächst, sind dieselben wie in der Erde.«
Ein leiser Schluchzer entrang sich Veronicas Kehle, und sie legte sanft die Hände auf ihren Bauch. Jennifers Stimme schien aus großer Entfernung zu kommen. »Wir liegen im warmen, weichen Schlamm auf dem Grund des
wunggud-
Beckens. Wir greifen behutsam nach dem Stiel einer Wasserlilie und ziehen uns langsam durchs Wasser nach oben, wo wir den Schatten des Lilienblatts an der Oberfläche sehen. Wir verweilen einen Augenblick, dann gleiten wir weiter durchs Wasser zum Sonnenlicht. Wir verweilen an diesem heiligen Ort. Und langsam, ganz langsam, kehren wir vom Träumen zurück.«
Eine nach der anderen schlugen die Frauen am
wunggud-
Ufer ihre Augen auf, streckten sich und fingen an, sich aufzusetzen. Niemand sagte ein Wort. Die Luft war dick von dem süßen Duft der über ihnen hängenden goldenen Blüten. Sie tauschten scheue Blicke aus und lächelten einander an in dem Wissen eines ganz besonderen Geheimnisses, das sie nun miteinander teilten.
Langsam kehrten sie zum Lager zurück, Veronica folgte Lilian und Jennifer.
»Du möchtest ein Baby bekommen?«, fragte Lilian plötzlich.
Die drei blieben stehen. Veronica blickte von Jennifer zu Lilian und nickte.
»Wir bringen dich, und zwar dich ganz allein, zum Kindgeister-
billabong.
« Die beiden Aborigine-Frauen nahmen Veronica bei den Händen und gingen mit ihr zu einer Stelle, wo sich das Flussufer leicht abschrägte und, umrahmt von zwei großen Schraubenbäumen, zu einem Becken öffnete.
Jennifer legte das schlafende Baby in seinem Tragetuch am Ufer ab. »Wir nehmen dich jetzt mit ins Wasser.«
Stumm ließ Veronica den Sarong fallen, den sie über ihrem Badeanzug trug. Mutter und Tochter nahmen sie bei den Händen und führten sie bis zur Taille in den Fluss. Das Wasser reichte bis zu Jennifers Bluse, die sie zu ihrer kurzen Hose trug; Lilians Baumwollkleid bauschte sich auf der Wasseroberfläche. Behutsam legten sie die weiße Frau auf den Rücken und blieben neben ihr stehen, während sie im Kindgeisterbecken trieb. Veronica spürte die sanften Hände an ihren Armen kaum.
»Entspann dich«, flüsterte Jennifer. »Schließ jetzt die Augen und öffne deine Beine ganz weit. Spüre das Wasser, und der Kindgeist in diesem Becken nimmt von dir Besitz.«
Veronica nahm die Wärme in sich auf. Sie bemerkte vage, dass ihre Beine in dem tanninfarbenen Wasser blassbraun aussahen. Sie trieb an diesem an eine Gebärmutter erinnernden Ort im Wasser und schloss langsam die Augen. Die ältere Frau legte eine Hand auf Veronicas Mitte. Etwas tiefer spreizte Jennifer ihre kräftigen Krankenschwesternfinger und ließ die Hände kreisen, während ihre Mutter leise zu singen begann. Veronica schwebte, Vertrauen und Frieden durchfluteten sie. Farben wirbelten vor ihren Augen, Muster aus Licht formten sich vor ihren geschlossenen Lidern und lösten sich wieder auf. Sie verlor das Gefühl für Zeit und Raum. Wieder vernahm sie die gedämpfte Stimme. »Öffne jetzt die Augen. Bald wirst du deinen Kindgeist sehen. Vielleicht ist es eine Echse, vielleicht ein Vogel, eine Biene, ein Fisch, eine Blume. Du wirst wissen, was es ist.« Veronica öffnete die Augen. Blinzelnd lag sie im Wasser, geblendet vom Sonnenlicht.
Sie kehrten ans Ufer zurück, und während sie auf dem sandigen Untergrund nach Halt suchte, blickte sie von der Tochter zur Mutter, die beide ein breites Lächeln auf dem Gesicht trugen. Die Aborigine-Frauen stiegen die Böschung empor, und Lilian wrang den Rock ihres
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