Im Licht der roten Erde
anderen folgten ihrem Beispiel und machten es sich im Schatten der großen Schraubenbäume bequem, die den Blick auf den Fluss mit seinen Wasserlilienfeldern fast ganz verstellten. Der Boden war weich, frei von Kieselsteinen, Stöcken oder stacheligem Gras. Abgesehen von vereinzelten Blütenköpfen und orangefarbenen Pandanussamen, war er angenehm gepolstert. Rowena, die ihre schmutzigen Sachen gegen ein anderes mitgebrachtes Designer-Outfit ausgetauscht hatte, klappte ihren Stuhl auf und lehnte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen zurück. Während sich die Frauen unterhielten, berührte Jennifer Rowena am Fußknöchel.
»Stell den Stuhl weg. Setz dich auf die Erde. Du musst mit unserer Mutter in Berührung treten.«
Rowena schüttelte den Kopf. »Ich sitze lieber so, danke.« Die steife Erwiderung überraschte Susan, die dachte, Rowena sei an einer gewissen New-Age-Spiritualität interessiert.
Lilian warf ihrer Tochter einen Blick zu, und Jennifer begann zu sprechen. »Spürt die Erde, sie ist unsere Mutter. Reibt sie in eure Haut. Legt euch hin, fühlt euch wohl.« Mit Ausnahme von Rowena legten sich die Frauen auf den Rücken und starrten zwischen den spitz zulaufenden Blättern der Schraubenbäume in den Himmel.
»Wir konzentrieren uns auf diese heilige Stätte, wir nehmen unsere Umgebung wahr. Wir konzentrieren uns auf jeden Baum, auf jedes Blatt, jeden Grashalm, jedes Körnchen Erde unter unserem Körper. Hört auf die Kakadus, die Honigfresser. Wir spreizen weit unsere Beine. Wir lassen den Wind durch uns hindurchfahren. Wir spüren Mutter Erde atmen. Wir passen unsere Atmung der ihren an.« Jennifer machte eine Pause, und die Frauen schlossen die Augen und atmeten tief und gleichmäßig.
Dann sprach sie mit langsamer, ruhiger Stimmer weiter. »Erkennt, dass alles
yorro yorro
ist, immer wieder neu, lebendig. Erfüllt von derselben Lebenskraft, aus der wir gemacht sind. Atmet die Erde, den Wind, das Lied des
wunggud.
Richtet eure Aufmerksamkeit auf jedes kleine Detail als Anerkennung unseres gemeinsamen Lebens, unseres gemeinsamen Raums. Wir sind zusammen hier. Lasst euch willkommen heißen, spürt, dass ihr hierhergehört.« Wieder hielt sie inne und ließ ihre Worte nachwirken, während die Frauen weiterhin mit ausgestreckten Armen und Beinen auf der Erde lagen.
Susan fühlte sich ein wenig unbehaglich. Das war zu seltsam – sie konnte sich keinen ihrer Juristenkollegen bei so etwas vorstellen. Doch nach und nach spürte sie, wie sich ihr Körper entspannte, locker und schlaff wurde, und in einem Augenblick der Selbsterkenntnis wurde ihr klar, dass sie von ihrer strikten Diszipliniertheit und Selbstbeherrschung, die ihr Leben bestimmten, abließ. Ein paar Sekunden lang machte ihr diese Erkenntnis Angst, doch als sie sich auf ihre Atmung konzentrierte, entspannte sie sich wieder.
Jennifer sprach jetzt noch langsamer, und ihre Stimme harmonierte mit dem ruhigen Ein und Aus ihres Atems. »Wir sind jetzt im Rhythmus mit der Erde. Wir können die Schwingungen der Erde spüren. Hört auf das, was sie sagt. Das ist für uns eine große Kraft. Wenn ihr eine Erscheinung habt, eine Vision, ein Gefühl der Erkenntnis – lasst es zu.«
Veronica versuchte, die Wirkung von Jennifers Worten, das, was mit ihnen geschah, zu analysieren. Es handelte sich um eine wohldurchdachte, ihr durchaus bekannte Entspannungstechnik für Körper und Geist, doch die Einheit der Aborigines mit Land und Schöpfung verlieh ihr eine weitaus höhere Qualität. Und obwohl sie überrascht war, dass die Ureinwohner ebendiese Technik kannten und anwandten, brachten die sanfte Stimme der jungen Frau und die milde Luft, die über ihren Körper strich, sie dazu, sich zu entspannen. Nach und nach schaltete sich ihr objektiver Journalistinnengeist ab, und ihre subjektiven Gefühle gewannen die Oberhand. Sie fühlte, wie ihr Rückgrat nachgab, als wäre der Boden unter ihr zu einer weichen Matratze geworden.
Die Brise trug Jennifers Stimme zu ihr. »Alles auf dem Mond, auf den Sternen und den Planeten gelangt in die Erde und kommt zu uns zurück, über die Natur, in unsere Körper.« Sie schwieg. Rowenas Kopf sank auf ihre Brust. Sie war auf ihrem Stuhl zusammengesackt. Alles war still.
Dann, wie ein Flüstern, wie das Streifen einer unsichtbaren Feder, wehte ein Lied herbei und schwebte jeder Frau ins Herz.
Ich bin an einem fernen Ort, aber ich bin so nah wie dein Atem, so nah wie dein Herz, das im Einklang schlägt mit Mutter
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