Im Licht der roten Erde
und einen angespitzten Knochen. »Diese Dinge sind Belege für menschliche Erzeugnisse, die man bei den Ausgrabungen in verschiedenen Tiefen gefunden hat, was auf verschiedene Datierungen hinweist. Das hier«, er deutete auf einen kleinen Stein, »ist das Fragment eines gemeißelten Sandsteins, den man in einem Niveau gefunden hat, das die Thermolumineszenzmethode auf hundertachtzehntausend Jahre datiert. Außerdem sind wir auf ein Steinwerkzeug und roten Ocker gestoßen, deren Alter wir auf achtundfünfzigtausend bis fünfundsiebzigtausend Jahre festlegen können.«
Susan fasste die Ansammlung ganz gewöhnlich aussehender Bröckchen und Kiesel auf dem Tisch genau ins Auge. »Das klingt ja unglaublich. Sind Sie sicher? Wie können Sie das beweisen?«
Esme kicherte. »Das ist die Millionen-Dollar-Frage, liebe Susan. Solange wir nicht ins Labor zurückgekehrt sind und weitere Tests durchgeführt haben, können wir keine endgültigen Schlüsse ziehen. Doch die Anzeichen sind äußerst ermutigend.«
»Wie wird die Wissenschaftlergemeinde reagieren?«, fragte Mick.
Professor de Witt zuckte die Achseln. »Manch einer wird begeistert sein, andere werden Zweifel hegen, und wieder andere werden neidisch sein und versuchen, uns zu diskreditieren. Es wird heiße Kämpfe geben, und die Diskussionen werden mindestens ein Jahr dauern. Vielleicht sogar länger, sollte sich jemand dafür begeistern, die Out-of-Africa-Theorie widerlegen zu wollen. Wie konnte der Homo sapiens vor hundertfünfundsiebzigtausend Jahren in Australien sein, wenn er Afrika doch erst vor hunderttausend Jahren verlassen hat?«
»Ich habe stets zu der Annahme tendiert, dass die menschliche Evolution überall stattgefunden hat, in verschiedenen Regionen, als Teil eines Ganzen«, sagte Alistair.
Die Gruppe starrte schweigend auf die winzigen Überreste, die womöglich den Schlüssel zu dieser unglaublichen These enthielten.
Susan bemerkte, dass Ardjani sich nur wenig für die Geschehnisse um ihn herum interessierte. »Was denkst du, Ardjani?«, fragte sie ihn daher.
Die Wissenschaftler, Akademiker und Besucher warteten, bis er langsam seinen Hut in den Nacken geschoben und sich an der Stirn gekratzt hatte. Der alte Aborigine setzte ein breites Lächeln auf. »Das ist für mich alles nichts Neues. Wie ich immer wieder sage: Wir waren hier seit Anbeginn der Schöpfung.«
Die Gruppe marschierte vom Lager aus durch flaches, mit Spinifex-Gras gesprenkeltes Buschland. In der Ferne ragte der Höhenkamm eines uralten, verwitterten Korallenriffs in den ozeanblauen Himmel. »Wie alt sind diese Hügel?«, fragte Susan und deutete auf den Horizont.
»Drei-, vierhundert Millionen Jahre«, antwortete de Witt. »Von irgendeiner gewaltigen Kraft aus dem Meer gehoben. Lässt einen selbst ziemlich unbedeutend erscheinen, was? Das ist eine interessante Seite an meinem Job: Zeit scheint eine völlig andere Bedeutung zu bekommen.«
»Er will damit sagen, dass er immer zu spät kommt!«, neckte ihn Esme.
»Da ist es.« De Witt deutete auf einen riesigen Fels von der Größe eines geräumigen Rundhauses, der auf dem offenen Gelände lag. Kleinere Felsbrocken waren um ihn herum verstreut, der spinnenhafte Schatten eines dürren Baumes zeichnete Striche auf seine rostrot-orangefarbene Oberfläche. Seile an Stahlpfosten sperrten Teile der Ausgrabungsstätte ab. An einer Seite bildete ein Felsüberhang ein kleines Dach über dem sandigen Boden. Es sah ganz gewöhnlich aus, und Mick sprach für den Rest der Gruppe, als er sagte: »Nun, ich wäre daran vorbeigegangen. Sieht nicht gerade aus wie ein archäologischer Meilenstein.«
»Kommt näher, liebe Freunde.« Esme raffte ihren Rock, führte sie zu dem Überhang und deutete auf seine Oberfläche. »Seht dort, die Kreise, die in den Fels gemeißelt und geritzt sind. Cupules. Es mag noch ältere Kunst in Indien geben, aber die ist nicht sicher datiert und nicht so weit verbreitet. Das war das Erste, was unsere Aufmerksamkeit geweckt hat. Sie stehen symbolisch für etwas anderes.«
»Was bedeuten sie deiner Meinung nach, Ardjani?«, fragte Susan.
»Vielleicht Tiere, Nahrung und Wasserkarten, Botschaften, Zeremonien. Ein paar alte Leute haben mir erzählt, bei manchen Zeremonien schlägt man Stein gegen Stein, um Staub zu erzeugen. Der Felsstaub ist Teil der Energie des Ahnentotems im Gestein. Auf diese Weise steigert man die Kraft der Nahrungsquelle, als würde man sie düngen.« Er fuhr mit der Hand über die Rillen.
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