Im Licht der roten Erde
»Sie sind aus einem ganz bestimmten Grund hier. Das ist kein Zufall.«
Susan hielt zwei Finger an eine Cupula von der Größe eines Golfballs, schloss die Augen und versuchte, sich den Menschen vorzustellen, der sie vor so langer Zeit geduldig gemeißelt oder aber Stein gegen Stein geschlagen hatte. »Denk doch mal nach, Andrew! Diese Vorstellung ist fantastisch.«
Andrew betrachtete die eingeritzten Kreise. Seit er ein Kind war, hatte er die heiligen Stätten von Yandoo erkundet, doch die Gefühle, die er hier empfand, waren völlig neu und unleugbar.
»Wer hätte gedacht, dass etwas so Unscheinbares von so großer Bedeutung sein könnte? Ich frage mich, was es wohl alles bei uns in Yandoo gibt. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, das zu untersuchen.«
»Obwohl sie nicht so aufsehenerregend ist wie die Felsmalereien, könnte eine Stätte wie diese aufgrund ihrer Bedeutsamkeit durchaus eine Touristenattraktion darstellen«, sagte Mick.
»Wie weit ist die Mine entfernt?«, erkundigte sich Alistair.
»Nur ein paar Kilometer«, sagte Esme. »Überflüssig zu erwähnen, dass sie Minenbau im großen Stil betreiben werden, vermutlich mit einer gewaltigen Abbaustelle, wenn sich die Probebohrungen als Treffer erweisen. Die Bedrohung für diese Stätte ist offensichtlich.«
»Vielleicht solltet ihr eure Hypothese jetzt schon veröffentlichen und sie dadurch in die Defensive treiben«, schlug Mick vor.
»Es könnte aber genauso gut dazu führen, dass die Minenarbeiter ihr Tempo erhöhen und weiteres Gebiet, noch näher an der Ausgrabungsstätte, abstecken, wenn sie erst mal aufmerksam werden auf das, was hier vor sich geht«, gab Esme zu bedenken.
»Du kannst sicher sein, dass Giles Jackson längst mit der Minengesellschaft telefoniert hat«, sagte Beth.
»Ich denke, es würde sich lohnen, den Medien von der möglichen Bedeutung dieser Stätte zu berichten. Es ist eine weitere Warnung für diejenigen, welche die indigenen Besitzansprüche und Rechte aufheben wollen«, sagte Alistair.
»Wir haben Videoaufnahmen gemacht und jeden einzelnen Schritt und Fund fotografiert und dokumentiert«, sagte de Witt enthusiastisch.
Alan trug mehrere Argumente vor, die seines Erachtens von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren. »Diese Funde sind auf dem angestammten Gebiet der Barradja gemacht worden, ganz egal, was Giles Jacksons Pachtvertrag dazu sagt. Was ist mit Rowena und ihrem Urheberrechtsvertrag auf die Kultur der Barradja?«
»Das ist doch absoluter Unfug!«, erklärte Esme wegwerfend. »Diese Frau hat nicht alle Tassen im Schrank, wenn Sie mich fragen. Die ist doch völlig von der Rolle.«
Alistair amüsierte sich über Esmes Ausdrucksweise, doch er forderte Aufmerksamkeit. »Ganz so einfach ist das nicht. Dieses Stück Papier existiert nach wie vor, unterschrieben von Ardjani und den Ältesten.« Er wandte sich an Ardjani.
»Keine Sorge«, sagte dieser gelassen. »Ich habe bereits mit ihr gesprochen.«
Seine rätselhafte Antwort sorgte für hochgezogene Augenbrauen.
»Mein Gott, wenn es hier ein mögliches juristisches Problem gibt, sollten wir es besser schnell aus der Welt schaffen.« Esme blickte ungehalten drein. »Hier steht jede Menge auf dem Spiel – Fördergelder von Museen und der Regierung, das akademische Ansehen, innerstaatliche Rechte. Wir wollen nicht, dass irgendwelche Fremden Ansprüche auf den Fund erheben. Das wäre doch absurd.«
Eine aktive Figur auf dem politischen Spielfeld zu werden, war offenbar ein gewaltiger Lernprozess, dachte Shareen, die den enthusiastischen Wortwechsel schweigend verfolgte und über die Bedeutung des historischen Fundes grübelte. So hatte sie sich die Politik nicht unbedingt vorgestellt. Shareen nahm eine Handvoll durchgesiebter Erde und ließ sie langsam durch ihre Finger rieseln. Sie versuchte, sich vorzustellen, welchen Einfluss diese Entwicklung auf die Wählerstimmen nehmen könnte, doch die Themen waren zu komplex, zu frisch, um eine Einschätzung vornehmen zu können. Wie wäre Pauline Hanson damit umgegangen?, fragte sie sich.
»Das könnte aus politischer Sicht ein heißes Eisen sein«, warf sie ein. »Wie man es auch dreht und wendet, es hat ganz den Anschein, jemand würde in Canberra um Unterstützung ersuchen, so dass noch mehr Geld in das bodenlose Fass der Aborigine-Hilfen fließt. Viele Wähler haben einfach die Nase voll davon.«
»Ach, verflucht noch mal, Shareen, hören Sie auf, wie eine Politikerin zu reden«, schimpfte Esme zornig
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