Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
»Wenn du dich damals nicht innerlich von ihr verabschiedet hättest, dann könntest du jetzt auch besser einschätzen, wie viel sie sich zumuten kann.«
»Ich konnte damals nicht anders.«
»Das gehört ja nun auch der Vergangenheit an. Entscheidender ist, was du jetzt zu tun gedenkst.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Ripley schloss die Augen. »Das ist ja eben das Problem.«
»Und ich soll es dir jetzt sagen?«
Ripley öffnete die Augen wieder und griff nach ihrem Glas. »Ich schätze, ich wollte gerne wissen, wie du die Sache siehst, wie du darüber denkst. Lu, das macht mich alles noch ganz verrückt! Es kommt wieder zu mir zurück, es dringt wieder in mich ein. Oh, Scheiße, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich will, dass es wieder verschwindet. Ich habe es doch schon einmal wieder zurückgedrängt. Aber jetzt kommt es mir so vor, als ob ich überall kleine Löcher
hätte, die ich aber nicht alle wieder schnell genug zustopfen kann.«
»Du hast dich damit ja nie so richtig wohl gefühlt. Aber manche Dinge sollen eben auch nicht bequem sein.«
»Vielleicht hatte ich auch Angst davor, dass es mir irgendwann einmal zu vertraut werden könnte. Ich habe eben nicht Mias Kontrolle oder Nells Mitgefühl. Ich habe diese Eigenschaften ganz einfach nicht.«
Kreise, dachte Lulu. Sie schließen sich immer wieder. »Nein aber was du hast, ist Leidenschaft und ein angeborenes Gespür dafür, was richtig und was falsch ist – und das Bedürfnis, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Das ist auch der Grund dafür, warum ihr drei den Kreis bildet, Ripley. Jede von euch dreien steuert ihr ganz persönliches Bestes dazu bei.«
»Oder ihr Schlimmstes.« Und das war auch der Grund für ihre Angst. »Und genau deshalb hat das alles vor dreihundert Jahren auch so eine fürchterliche Wende genommen – wenn du verstehst, was ich meine.«
»Du kannst das, was war, nicht mehr ändern, aber du kannst die Zukunft beeinflussen. Doch du kannst dich weder vor dem einen noch vor dem anderen verstecken. Es scheint mir aber, dass du schon selbst zu der Erkenntnis gekommen bist, dass du dich nun lange genug versteckt hast.«
»Ich habe es aber nie als verstecken empfunden. Ich bin doch kein Feigling. Sogar als wir mit Remington kämpfen mussten, konnte ich es noch ziemlich gut unter Kontrolle halten, konnte den Status quo aufrechterhalten. Aber seit Mac da ist, flutscht es mir förmlich zwischen den Fingern hindurch.«
»Und darum hast du Angst, dass du, wenn ihr beide zusammen seid, überhaupt keine Kontrolle mehr darüber haben wirst. Nicht nur über das, was du bist, sondern auch darüber, was du fühlst.«
»Das trifft ungefähr den Kern.«
»Und deshalb schleichst du jetzt auf Zehenspitzen umher.« Lulu schnaufte kurz und schüttelte den Kopf. »Kummer und Sorgen über das, was geschehen könnte, statt in den Sattel zu springen und die Wahrheit zu sehen.«
»Ich möchte nicht diejenigen verletzen, die mir wichtig sind.«
»Nichts zu tun kann manchmal aber noch mehr verletzen, als irgendetwas zu tun. Das Leben wird einem eben nicht mit einem Garantieschein präsentiert, was im Übrigen auch in Ordnung ist, da die meisten Garantien ja doch nur Mumpitz sind.«
»Na ja, wenn man es von dem Standpunkt aus betrachtet.« Es gibt einfach nichts und niemanden, dachte Ripley, der wieder so schnell Licht ins Dunkel bringen kann wie Lulu. »Ich schätze, ich bin schon seit einer ganzen Weile drauf und dran, etwas zu tun – und es nicht zu tun macht mich jetzt langsam verrückt. Und dumm«, fügte sie so aufrichtig hinzu, wie sie nur wenigen gegenüber sein konnte.
»Du wirst diesen letzten Schritt jetzt wagen?«
Ripley trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, dann verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. »Sagen wir mal, ich werde einen Schritt tun – und dann warten wir ab, was als Nächstes passiert. Kann ich mal eben dein Telefon benutzen?«
»Wozu?«
»Ich muss eine Pizza bestellen.«
Mac brauchte fast den ganzen Tag, um den Sensor wieder zu reparieren, und selbst dann hielt er eigentlich nur durch guten Willen zusammen. Bis die Ersatzteile kamen, würden noch weitere ein bis zwei Tage vergehen, und da der Freitag immer näher rückte, befand er sich in einer ganz schönen Zwickmühle.
Ich bin mir nicht sicher, was ich mir von Freitag erhoffe, schrieb er in sein Tagebuch. Aber das ist wohl auch besser so. Es wäre ein Fehler, ein Experiment zu beginnen und dabei schon bestimmte Ergebnisse zu
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