Im Licht der Sterne: Roman (German Edition)
finden.
Der Geruch von Blut und Tod umfing sie.
16
Nell verdrängte alles – oder versuchte es zumindest – und ging zur Arbeit. Sie servierte Kaffee und Muffins und scherzte mit den Stammgästen. Sie trug ihren neuen blauen Pullover und rührte die Kürbissuppe um, die sie für die Mittagsgäste vorbereitet hatte. Sie füllte den Stapel Geschäftskarten auf, die sie entsprechend Mias Empfehlung neben der Kasse des Cafés ausgelegt hatte.
Alles lief ganz normal weiter, geradezu locker. Bis auf die Tatsache, dass ihre Hand das Medaillon, das sie nun nicht mehr trug, mindestens ein Dutzend Mal suchte während des Vormittags. Jedes Mal, wenn sie das tat, tauchte das Bild des blutüberströmten Zack vor ihrem geistigen Auge auf.
Er hatte heute Morgen einen Termin auf dem Festland, und die Vorstellung, dass er nicht auf der Insel war, erzeugte mehr als Furcht in ihr. Er könnte beispielsweise auf der Straße von einem Straßenräuber überfallen, liegen gelassen werden und verbluten.
Gegen Ende ihrer Schicht war sie zu der Überzeugung gelangt, dass sie nicht genug getan hatte und zusätzliche Hilfe brauchte.
Sie fand Mia, die einem Kunden bei der Auswahl von Kinderbüchern half. Sie wartete, rang im Geiste ihre Hände, bis er sich endlich entschlossen hatte und zur Kasse ging.
»Ich weiß, dass du viel zu tun hast, aber ich muss mit dir reden.«
»In Ordnung. Ich hole nur eben meine Jacke. Lass uns einen Spaziergang machen.«
Sie war nur kurze Zeit später wieder da und hatte sich ihre Wildlederjacke über ihr kurzes Kleid gezogen. Beides war leuchtend kürbisgelb, sodass sich ihr Haar wie eine Feuermähne dagegen abhob.
Sie winkte Lulu einen Gruss zu, als sie zur Vordertür hinausgingen. »Ich nehme meine Mittagspause. Tolles Wetter«, fügte sie beim Hinausgehen hinzu. »Den hat Lulu gestrickt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Du hast die Hürde übersprungen. Sie würde dir niemals etwas so Schönes stricken, wenn sie dich nicht akzeptiert hätte. Meinen Glückwunsch.«
»Danke. Ich … möchtest du irgendwas essen?«
»Nein.« Mia schüttelte ihr Haar zurück und atmete tief durch. Es gab Zeiten, relativ selten, in denen sie sich eingeschlossen fühlte im Buch-Café, wo sie sich nach Bewegung sehnte. »Ich möchte lieber gehen.«
Ripley hatte Recht, was den schönen Herbst anging. Der kurze Kälteeinbruch war abgelöst worden durch wunderschönes warmes Wetter. Die feuchte Brise roch nach Meer und nach Wald zugleich. Gegen den wolkenbedeckten grauen Himmel nahmen sich die flammenden Bäume wie Warnsignale aus. In der See spiegelte sich der Himmel wider, und der unruhige Wellengang deutete auf einen drohenden Sturm.
»Es wird gleich regnen«, war Mias Vorhersage. »Schau.« Sie wies auf die See. Sekunden später, als hätte sie es bestellt, krachte ein Blitz über den stahlgrauen Himmel. »Sturm kommt auf. Ich liebe einen kräftigen Sturm. Die Luft ist elektrisch geladen, und ihre Energie fährt einem direkt ins Blut. Es macht mich jedes Mal unruhig. Ich möchte stets auf meinen Klippen sein während eines Sturms.«
Mia zog ihre eleganten Schuhe aus, trug sie in der Hand und ging barfuß im Sand. »Der Strand ist fast leer«, stellte sie
fest. »Ein schöner Platz zum Spazierengehen und für dich, um mir zu erzählen, was dich bedrückt.«
»Ich hatte eine … ich weiß nicht, ob es eine Vision war. Ich weiß nicht, was es war. Ich fürchte mich.«
Mia hakte Nell unter und behielt ihre langsame Gangart bei. »Erzähl mir davon.«
Als sie ihr alles erzählt hatte, ging Mia weiter. Sie hielt ihren Kopf hoch, ihr Haar wehte im Wind, und ihre grauen Augen verrieten nichts. »Warum hast du ihm dein Medaillon gegeben?«
»Es war das Einzige, was mir einfiel. Es war ein Impuls. Wahrscheinlich, weil es das ist, was mir am meisten bedeutet, nehme ich an.«
»Du hast es getragen, als du gestorben bist. Du hast es mitgebracht in dein neues Leben. Als Symbol dafür, woher du kommst, diese Verbindung zu deiner Mutter. Dein Talisman. Sehr starke Magie. Er wird es tragen, weil du ihn darum gebeten hast, und das macht sie noch stärker.«
»Mein Vater hat es meiner Mutter einst zu Weihnachten geschenkt. Es ist nicht besonders wertvoll.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt. Sein Wert ist seine Bedeutung für dich, und deine Liebe zu deinen Eltern hast du damit an Zack weitergegeben.«
»Reicht das? Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Ich weiß, was es bedeutet, Mia.« Und genau das war die Furcht, die sie
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