Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
vertreiben. Und du«, sagte sie und zeigte auf Phoebe, »bist unsere einzige Hoffnung.«
»Auch das noch!«
Essie klopfte Phoebe auf die Schulter, bevor sie sich setzte. »Aber natürlich will dich hier niemand unter Druck setzen.«
Sie wollte niemandes einzige Hoffnung sein. Aber sie bestieg den Bus. Sie musste Avas Angebot, ihr Auto zu nehmen, dreimal ablehnen und enttäuschte Carly, indem sie sich für Jeans und einen schwarzen Pulli statt für ihr grünes Kleid entschied. Dafür hatte sie die Ohrringe angezogen, die ihre Tochter ausgesucht hatte, und sich frisch geschminkt.
Das Leben war nun mal ein einziger Kompromiss.
Es war so kühl, dass sie froh über ihr Outfit war, während sie von der Bushaltestelle East River Street zu Fuß weiterging.
So viele Paare, dachte sie, die hier Hand in Hand spazieren gingen und die angenehme Abendluft einsogen. Ihre Mutter hatte schon recht. Es war nett – es könnte nett sein -, mit jemandem an einem schönen Frühlingsabend Händchen zu halten.
Aber in ihrer Situation war es besser, an so etwas gar nicht erst zu denken. Vor allem dann nicht, wenn sie gleich mit einem attraktiven Mann etwas trinken würde. Sie hatte genügend andere zum Händchenhalten. So viele, dass ein einsamer Spaziergang am Fluss Seltenheitswert hatte.
Da sie noch ein paar Minuten Zeit hatte, verlangsamte sie ihre Schritte, wandte sich dem Wasser zu und genoss das Schauspiel.
Sieh mal einer an, dachte sie, ich scheine doch nicht die Einzige zu sein, die allein ist. Sie sah einen Mann, der genauso einsam war wie sie und aufs Wasser hinaus sah. Der Schirm seiner Baseballmütze war tief ins Gesicht gezogen, und zwei Kameras hingen quer über seiner dunklen Windjacke.
Nicht alle hier waren Teil eines Paars.
Vielleicht würde sie am Samstag mit Carly einen langen Spaziergang hierher machen, dachte sie, während sie den Kopf zurücklegte und zuließ, dass die Brise ihr Haar zerzauste. Die Kleine würde ihre Freude daran haben, hierherzulaufen und ihre gesamte Umgebung in sich aufzunehmen. Auch wenn es wahrscheinlich besser war, im Park spazieren zu gehen, weit weg von den vielen Geschäften.
Sie würden sich schon einigen.
Dann mal los, dachte Phoebe und sah auf die Uhr. Sie merkte nicht, dass der Mann am Wasser eine der Kameras hob und auf sie richtete.
Das Swifty’s war von außen schön hergerichtet und machte einen einladenden Eindruck. Lauter liebevolle Details, dachte sie. Der Mann hatte einen Blick dafür. Als sie den Pub betrat, war er noch genau so, wie sie ihn von ihrem letzten Besuch in Erinnerung hatte. Eine breite, behäbige Bar dominierte den Raum, es war sehr gemütlich. Die Sitzecken waren groß und gut gepolstert, die Tische aus dunklem, poliertem Holz. Lichtflecken von den Buntglashängelampen tanzten an den Wänden, und in einem kleinen steinernen Kamin flackerte ein rotes Torffeuer. Die Atmosphäre war warm und herzlich.
In einer der Sitzecken saßen die Musiker an einem Tisch mit lauter Getränken. Ein Mädchen spielte mit Hingabe auf ihrer Geige, und ihre Bewegungen wurden immer fließender, je klarer und reiner ihre Musik wurde. Ein Mann, der ihr Großvater hätte sein können, gab mit seinem kleinen Akkordeon den Rhythmus vor. Ein junger Mann mit so hellem Haar, dass Phoebe an Engelshaar denken musste, spielte den Dudelsack, während ein anderer gerade sein Pint abstellte, nach seiner Geige griff und übergangslos mit in das Lied einstimmte.
Hier geht’s ja richtig fröhlich zu, dachte Phoebe. Die Musik war fröhlich, die Leute plauderten fröhlich. Bunte Lampen und raffiniert eingesetzte Farben, wohin das Auge sah. Alte Bierkrüge, ein Fass, Keramik, die sicherlich aus Irland stammte, eine irische Harfe und alte Guinness-Reklameschilder.
»Da sind Sie ja, und absolut pünktlich.«
Sie drehte sich gerade zu ihm um, als Duncan auch schon ihre Hand nahm. Dieses Lächeln, fiel ihr auf, hatte die Macht, sie vergessen zu lassen, dass sie eigentlich gar nicht hier sein wollte.
»Nettes Lokal«, sagte sie. »Die Musik gefällt mir.«
»Jeden Abend Live-Musik. Ich hab uns einen Tisch reserviert.« Er führte sie zu dem Tisch vor dem Kaminfeuer, wo sie sich auf das gemütliche kleine Zweiersofa fallen lassen konnte. Genieß den Moment, dachte Phoebe erneut.
»Der beste Platz im ganzen Lokal. Was darf ich Ihnen bringen?«
»Ein Bier, danke.«
»Kommt sofort.« Er ging zur Bar und sprach mit dem Mädchen, das an seinem Ende des Tresens bediente. Kurz darauf kehrte er
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