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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Rückendeckung ging ich auf den Anführer der Belutschen zu, um mir meine Kaugummis zurückzuholen. Da rannte er plötzlich los oder versuchte es zumindest. Ich packte ihn, und wir kugelten mitsamt unseren Waren über den Boden. Ich spürte seine Muskeln unter dem Stoff seines Pirhan , und er versetzte mir zwei Fausthiebe. Doch in dem Durcheinander gelang es mir, ihm ein Paar Socken zu entwenden. Danach verpasste er mir einen Fußtritt in den Bauch, und mir blieb die Luft weg. Er hob seinen Karton auf und verschwand. Das Päckchen Kaugummi hat er behalten. Aber ich hatte die Socken, und die waren mehr wert.
    Einer der Hazara half mir beim Aufstehen.
    Ich hätte eure Hilfe gut gebrauchen können, sagte ich. Aber ihr wolltet euch ja lieber nicht einmischen.
    Dann wäre es das nächste Mal noch schlimmer geworden. So hast du bewiesen, dass du dich selbst verteidigen kannst.
    Meinst du?
    Ja.
    Ich gab ihm die Hand. Trotzdem, danke. Ich heiße Enaiatollah.
    Sufi.
    Ich freundete mich mit den Jungen an, vor allem mit einem von ihnen. Er hieß Gioma, Spitzname Sufi, weil er so zurückhaltend und schweigsam war wie ein Mönch. Auch wenn er manchmal mehr Unsinn anstellte als alle anderen zusammen.
    Eines Abends zum Beispiel, als wir gerade gemeinsam unterwegs waren, ging er zu einem völlig verdreckten, stinkenden Bettler und ließ ein paar Kiesel in seiner Metallschale klingeln. Der arme Mann, der dort vor sich hindöste, schreckte sofort hoch, um zu sehen, wer ihm so viel Geld gegeben hatte. Bestimmt wähnte er sich bereits reich und glaubte, sich eine Mahlzeit im besten Restaurant der Stadt leisten zu können oder eine ordentliche Portion Opium. Doch als er merkte, dass es sich nur um Kiesel handelte und uns hinter der Moscheemauer lachen hörte, verfolgte er uns, um Kleinholz aus uns zu machen. Aber wir hauten sofort ab, und er war zu mitgenommen, um uns auf den Fersen bleiben zu können.
    Ein anderes Mal entdeckte Sufi ein Motorrad, das an einen Pfahl angekettet war. Er setzte sich darauf, aber nicht, um es zu stehlen. Er wollte sich nur draufsetzen und schauen, wie sich das anfühlt, weil er schon immer davon geträumt hatte, ein Motorrad zu besitzen. Aber kaum, dass er am Gas gedreht und den Kickstarter getreten hatte, ging aus irgendeinem Grund der Motor an. Das Motorrad machte einen Satz nach vorn, und Sufi wurde in einen Obststand geschleudert. Der Mönch hatte noch Tage danach Schwierigkeiten, sich zum Gebet hinzuknien.
    Tag für Tag trafen wir uns mit den anderen Jungen auf dem Markt und legten gegen Mittag etwas Geld für Joghurt mit Schnittlauch, Brotfladen aus dem Lehmofen und etwas Obst oder Gemüse zusammen.
    So weit, so gut.
    Ich arbeitete weiterhin auf dem Liaquat Basar, ich hatte schließlich nichts Besseres zu tun. Aber das hieß noch lange nicht, dass mir die Arbeit gefiel. Es war nicht so wie im Laden, wo die Leute zu dir kommen und sagen, was sie wollen. Wo du die Kunden nur freundlich empfangen musst. Stattdessen waren wir gezwungen, uns vor oder neben sie zu stellen, während sie gerade mit den Gedanken ganz woanders waren, und zu sagen: Kaufen Sie, kaufen Sie mir bitte etwas ab! Wir mussten ihnen zur Last fallen wie Schmeißfliegen, was sie natürlich nervte, so dass sie uns schlecht behandelten. Es machte mir keinen Spaß, anderen zur Last zu fallen. Und es machte mir auch keinen Spaß, schlecht behandelt zu werden. Aber auch ich musste irgendwie überleben. Und um zu überleben, tut man auch Dinge, die einem keinen Spaß machen.
    Mit der Zeit entwickelte auch ich die eine oder andere Methode, wie ich die Leute dazu zwingen konnte, mir etwas abzukaufen, und die Geschäfte gingen gut. Ich machte mich an die heran, die ein Kind auf dem Arm hatten, und biss in ein Brötchen, ohne die Verpackung zu entfernen, so dass man den Abdruck meiner Zähne sah. Und wenn sie nicht hinschauten, gab ich es dem Kind. Anschließend sagte ich zu den Eltern: Schaut nur! Es hat mir heimlich ein Brötchen weggenommen. Es hat es beschädigt. Ihr müsst es mir bezahlen. Oder aber ich kniff die Kleinen leicht in den Arm, damit sie weinten. Dann sagte ich zu den Eltern: Kauft etwas, um euer Kind zu trösten. Doch all das verstieß gegen das dritte Gebot, das mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben hatte: Du sollst nicht betrügen .
    Außerdem war da immer noch die Frage nach dem Schlafplatz. Wenn es dunkel wurde, suchten ich und die anderen Jungs in heruntergekommenen Vierteln am Stadt rand von Quetta Unterschlupf. Überall

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