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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Schwimmweste ist total zerfetzt.
    Liaquat zog sie aus, drehte und wendete sie. Aber es war bereits zu spät, sie war längst unbrauchbar geworden. Er sah mich verzweifelt an und zwang sich dann zu einem schiefen Grinsen: Deine ehrlich gesagt auch.
    Er ging auf Hussein Alì zu. Und die von Hussein Alì ebenfalls, sagte er.
    Nicht eine einzige Weste war heil geblieben.
    He, aber dafür sind wir am Strand!, sagte Rahmat.
    Wir sind am Strand, wiederholte Hussein Alì.
    Gibt es eine Schule, in der man solche Binsenweisheiten lernt?, sagte Liaquat.
    Lasst uns schnell das Schlauchboot aufpumpen!, schlug Rahmat vor.
    Dafür ist es jetzt zu spät.
    Wie bitte?
    Ich wiederholte: Dafür ist es jetzt zu spät. Wir müssen bis morgen warten.
    Das stimmt nicht, wir können es schaffen.
    Um die Meerenge zu durchqueren, die uns von Lesbos trennte, bräuchte man etwa drei Stunden, hatte uns der Schlepper erklärt. Inzwischen war es bestimmt zwei, drei Uhr morgens, und wir riskierten, bei Sonnenaufgang anzukommen und somit entdeckt zu werden. Wir waren auf die Dunkelheit angewiesen, darauf, unsichtbar zu bleiben. Wir mussten überlegt handeln. Wir mussten die folgende Nacht abwarten.
    Ich bin der Älteste, sagte ich. Ich bin der Kapitän. Stim men wir ab: Wer ist dafür, dass wir morgen Nacht auf brechen?
    Hussein Alì zeigte als Erster auf, Soltan und Rahmat taten es ihm nach.
    Liaquat seufzte. Dann suchen wir uns eben einen Schlafplatz, sagte er. Möglichst weit vom Meer entfernt. Bei diesen Worten sah er Hussein Alì augenzwinkernd an: Nicht dass uns eine wilde Welle angreift, während wir schlafen.
    Hussein Alì verstand den Witz nicht. Er nickte und sagte: Oder ein Krokodil. Das war sein voller Ernst, seine Augen waren weit aufgerissen.
    Im Meer gibt es keine Krokodile, sagte Liaquat.
    Woher weißt du das?
    Das weiß ich einfach, du Dummkopf.
    Du hast leicht reden! Dabei kannst du noch nicht mal schwimmen.
    Du kannst doch auch nicht schwimmen.
    Das stimmt. Hussein Alì versteifte sich. Deswegen habe ich ja Angst vor Krokodilen.
    Aber es gibt gar keine, kapiert? Es. Gibt. Keine. Krokodile leben in Flüssen.
    Da wäre ich mir nicht so sicher, flüsterte Hussein Alì und schaute aufs Wasser hinaus. In dieser Dunkelheit, sagte er, während er nach einem Stein trat, kann sich alles Mögliche verstecken.
    Der nächste Tag war ein guter Tag, obwohl wir unsere gesamten Nahrungs- und Trinkvorräte aufbrauchten. Sol tan versuchte, Meerwasser zu trinken, schrie aber nach dem ersten Schluck, das Wasser sei vergiftet. Die Türken und Griechen hätten es vergiftet, um uns umzubringen. Wir blieben unter uns (was hätten wir auch sonst tun sollen?), schliefen aus und bauten Wildschweinfallen. Wir machten uns keine Gedanken darüber, wie gefährlich die Überfahrt war. Der Tod kommt einem sehr weit weg vor, auch wenn er gar nicht mehr so weit entfernt ist. Man glaubt, ihn überlisten zu können.
    Gegen Mitternacht verließen wir unser Versteck. Wir trugen unsere Ausrüstung zu den Felsen. Dort waren wir geschützter und konnten nicht so leicht von vorbeifahrenden Booten gesehen werden. Das Schlauchboot musste mithilfe des Blasebalgs aufgepumpt werden. Es war blau-gelb und, ehrlich gesagt, nicht besonders groß. Das Gewicht, für das es ausgelegt war, war niedriger als unser Gesamtgewicht, aber wir taten, als ob nichts wäre.
    Wir waren so damit beschäftigt, das Boot aufzupumpen und die Ruder einzuhängen, dass wir gar nicht merkten, wie sich vom Meer her ein Licht näherte.
    Es war Rahmat, der es entdeckte. Schaut nur!, sagte er.
    Wir wandten gleichzeitig den Kopf.
    Draußen auf dem Wasser – wie weit draußen, kann ich schlecht sagen – fuhr ein Boot mit rot und grün blinkenden Lämpchen vorbei. Wegen der Lämpchen hielten wir es für die Küstenwache. Das ist die Küstenwache!, sagten wir und fragten uns panisch, ob sie uns wohl gesehen hatte. Wir ließen die Luft aus dem Boot, rannten zurück und versteckten uns wieder im Wald.
    Das war bestimmt bloß ein Fischerboot.
    Und was machen wir jetzt?
    Wir sollten warten.
    Wie lange?
    Eine Stunde.
    Und wenn sie wiederkommen?
    Dann bis morgen.
    Wir sollten lieber bis morgen warten.
    Ja, ja. Morgen.
    Gehen wir schlafen?
    Lasst uns schlafen gehen.
    Und wer hält Wache?
    Was für eine Wache?
    Wir müssen Wache halten, sagte Hussein Alì.
    Wir brauchen nicht Wache zu halten.
    Wenn sie uns gesehen haben, werden sie nach uns suchen.
    Aber vielleicht haben sie uns gar nicht gesehen.
    Dann können wir auch

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