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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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längeren Zeitraum hinweg – ausgerechnet ich, der ich seit dem Samavat Qgazi von einem Ort träumte, an dem ich mich abends ausruhen kann.
    Doch hier gab es so etwas nicht.
    Ich versuchte, Kontakt zu anderen Afghanen aufzunehmen, allerdings ohne großen Erfolg. Stattdessen entdeckte ich einen Platz in der Nähe eines Basars, in einer baufälligen Gegend am Bosporus. Dort konnte man frühmorgens hingehen und auf etwas Arbeit hoffen. Man setzte sich hin und wartete, bis jemand vorbeikam, der aus einem Wagen stieg und sagte: Ich kann dir folgenden Job gegen, folgende Bezahlung anbieten. War man einverstanden, erhob man sich und folgte ihm. Man arbeitete den ganzen Tag, und die Arbeit war hart. Abends wurde man dann wie vereinbart bezahlt.
    Im Vergleich zum Iran war es in Istanbul viel schwieriger, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Manchmal dachte ich: Was habe ich nur getan? Dann fielen mir die Abschiebungen nach Herat und alles andere wieder ein: die Kontrollposten, die geschorenen Haare. In diesen Momenten fand ich, dass ich es mit dem Park in Istanbul doch ganz gut getroffen hätte. Wenn ich duschte, dann bei anderen zu Hause. Ich lebte von der Hand in den Mund. Die Tage stürmten auf mich ein, und das Leben zog an mir vorbei. Ich verwandelte mich in einen Stein.
    Nachdem wir eines Abends gemeinsam in den Gassen Fußball gespielt hatten, erzählten mir Afghanen, die noch jünger waren als ich, dass sie bald nach Griechenland gehen würden. Sie arbeiteten in einer Nähfabrik. Nach mehreren Monaten unentgeltlicher Arbeit würde ihnen derjenige, der sie an die Fabrik vermittelt hatte, helfen, nach Griechenland zu gelangen.
    Wie denn?
    Mit einem Schlauchboot.
    Noch eine Reise? Ich dachte an das Gebirge zurück. An den Hohlraum unter dem Lastwagen. Ich dachte: Und jetzt das Meer. Es machte mir Angst. Ich konnte mich an den tiefen Stellen im Fluss nur mit Mühe über Wasser halten. Im großen Meer, im Mittelmeer, würde ich ertrinken. Wer weiß, welche Gefahren es barg.
    Ich möchte in Istanbul Arbeit finden, sagte ich.
    Dort wirst du keine finden.
    Ich möchte es versuchen.
    Hier in der Türkei gibt es keine Arbeit für uns. Wir müssen nach Westen gehen.
    Ich möchte in Istanbul Arbeit finden, wiederholte ich. Und genau das versuchte ich auch noch mehrere Monate. Ich tat alles dafür, aber es war nicht leicht, nein, es war wirklich nicht leicht. Und wenn etwas so schwierig ist, dass es unmöglich wird, bleibt einem nichts anderes übrig, als aufzugeben und sich etwas anderes auszudenken.
    Als der schicksalhafte Aufbruch der afghanischen Jungen kurz bevorstand, war ich beinahe soweit, ihre Einladung anzunehmen. Aber dafür war es jetzt reichlich spät. Sie hatten gearbeitet, um die Reise bezahlen zu können.
    Also griff ich zu einer Notlüge und sagte: Wenn ihr nach Griechenland geht, solltet ihr mich lieber mitnehmen. Denn dort braucht ihr bestimmt jemanden, der Englisch spricht, und ich spreche Englisch. Wenn ihr mir die Reise bezahlt und ich euch begleite, könnt ihr euch mit den Griechen ver ständigen, sie um Hilfe bitten oder irgendwas fragen. Na, was meint ihr? Ich könnte euch behilflich sein. Ich hoffte, dass sie darauf hereinfielen, da alle etwas jünger waren und dementsprechend weniger Lebenserfahrung besaßen.
    Wirklich?, fragten sie.
    Was, wirklich?
    Du sprichst wirklich Englisch?
    Ja.
    Dann lass mal hören!
    Was wollt ihr denn hören?
    Irgendwas auf Englisch.
    Also sagte ich eines der wenigen Wörter, die ich kannte: House .
    Was heißt das?
    Haus, sagte ich.
    Da haben sie eingewilligt.
    Wo hattest du Englisch gelernt?
    Das habe ich nach und nach aufgeschnappt. Wenn man vorhat auszuwandern, sollte man etwas Englisch können. Und weil viele von uns nach London gehen wollten, habe ich manchmal Freunden geholfen, sich ein paar nützliche Sätze einzuprägen.
    Also konntest du Englisch.
    Nein, ich konnte kein Englisch. Ich kannte nur ein paar Wörter. Wie ship station für Hafen oder so.
    Haben sie es dann später gemerkt?
    Warte, das erzähle ich dir gleich.
    In der Woche, bevor wir aufbrachen, hatte ich wirklich Glück und arbeitete drei Tage. Ich verdiente genug, um mir neue Klamotten für Griechenland kaufen zu können. Wenn man irgendwo hinkommt, wo man ein Niemand ist, ist es immer gut, neue Kleider zu haben.
    Wir waren zu fünft: Rahmat, Liaquat, Hussein Alì, Soltan und ich.
    Hussein Alì war der Jüngste, er war zwölf.
    Von Istanbul fuhren wir nach Ayvalik. Das ist ein Ort gegenüber der Insel

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