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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Lesbos. Von der türkischen Küste aus sollte es dann an die griechische gehen. Nach Ayvalik brachte uns einer der vielen Schlepper, ein schnauzbärtiger Türke mit Aknenarben. Der würde uns auch erklären, wie man nach Griechenland kommt.
    Und so war es dann auch: In Ayvalik machte er den Motor seines Transporters aus, zog einen von Mäusen angenagten Pappkarton hervor, führte uns auf einen Hügel, zeigte bei Sonnenuntergang aufs Meer und sagte: Dort liegt Griechenland. Viel Glück!
    Jedes Mal, wenn mir jemand viel Glück wünscht, geht es schief, sagte ich. Außerdem, was soll das heißen, dort liegt Griechenland? Ich sehe nur Meer.
    Aber natürlich hatte auch er ein paar berechtigte Ängste. Schließlich war das, was er tat, illegal. Also knurrte er nur irgendwas auf Türkisch und ließ uns auf dem Hügel zurück.
    Wir öffneten den Pappkarton. Er enthielt das Schlauchboot – ein nicht aufgepumptes Schlauchboot, natürlich –, Ruder (es gab sogar zwei Ersatzruder), einen Blasebalg, Klebeband – und ich dachte noch: Wieso Klebeband? – und Schwimmwesten. Die perfekte Ausrüstung, eine Art Startpaket für Illegale. Mit Anleitung und allem Drum und Dran. Wir teilten den Inhalt unter uns auf, zogen die Schwimmwesten an, weil das bequemer war, als sie zu tragen, und gingen in den Wald, der den Hügel vom Strand trennte. Bis zum Meer waren es noch etwa drei oder vier Kilometer, und in der Zwischenzeit war es dunkel geworden. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, fällt mir auf, dass ich damals eher nachts als tagsüber gelebt habe.
    Wir gingen also in Richtung Strand, durch diesen großen Wald und die Nacht, die zwischen den Baumstämmen hindurchschimmerte. Nach nicht einmal zwanzig Minuten hörten wir äußerst merkwürdige Geräusche. Das war nicht der Wind, der in den Zweigen oder Blättern raschelte, sondern etwas ganz anderes.
    Das werden Kühe sein, sagte Rahmat.
    Das werden Ziegen sein, sagte Hussein Alì.
    Ziegen machen keine solchen Geräusche, du Dummkopf!
    Bei diesen Worten boxte Hussein Alì Rahmat gegen die Schulter. Und Kühe auch nicht, du Idiot!
    Sie begannen, sich gegenseitig anzurempeln und zu raufen.
    Seid ruhig!, sagte ich. Hört auf damit!
    Das werden wilde Kühe sein, sagte Liaquat. Wildkühe, die es nur in der Türkei gibt. Aber uns blieb keine Zeit mehr, etwas darauf zu erwidern, da Liaquats Kühe plötzlich mitten auf dem Weg standen und wie die Wahnsinnigen auf uns zugaloppierten. Es waren kleine Kühe, kleine, gedrungene Kühe. Hussein Alì schrie: Los, lauft, da kommen die wilden Kühe! Da rannten wir los, bis wir einen Graben oder so was fanden. Wir ließen uns fallen und versteckten uns zwischen den Sträuchern.
    Wir warteten, bis es wieder still geworden war. Nach einer Weile steckte Liaquat den Kopf hervor und sagte: He, das sind keine Kühe, das sind Schweine!
    Wilde Schweine, sagte Hussein Alì.
    Wilde Schweine, wiederholte Liaquat.
    Ja, es waren Wildschweine. Aber keiner von uns hatte jemals ein Wildschwein gesehen. Wir warteten, bis sie verschwunden waren. Dann verließen wir den Graben und gingen erneut Richtung Strand.
    Zehn Minuten später hörten wir es bellen.
    Das sind Hunde, sagte Hussein Alì.
    Na, großartig!, sagte Liaquat. Man merkt, dass du eine Schule besucht hast. Weißt du auch, wie ein Schaf macht? Und ein Pferd?
    Sie fingen an, sich gegenseitig anzurempeln und zu raufen, hörten aber sofort damit auf, als plötzlich ein Hund hinter einem Baum auftauchte. Und dann noch einer und noch einer. Das Hundegebell kam näher, und wir entdeckten die Tiere rechts von uns auf einem Felsen. Sie befanden sich nicht etwa hinter einem Zaun, sondern waren frei. Und sie waren viele.
    Wilde Hunde!, schrie Hussein Alì. Dieses Land ist voller wilder Tiere.
    Die Hunde verließen den Felsen, Hunde, mit gefletschten Zähnen und gestreckten Ruten. Also rannten wir wieder davon, so schnell wir konnten. Wir sprangen in einen Graben, der diesmal tiefer war als gedacht. Wir purzelten den Abhang hinunter und landeten in einem trockenen Flussbett.
    Das Schlauchboot, schrie ich. Macht keine Löcher ins Schlauchboot!
    Wir schützten uns vor den Steinen und anderen spitzen Gegenständen. Als wir uns wieder aufrappelten, war zum Glück niemand von uns ernsthaft verletzt. Wir hatten bloß ein paar Kratzer und blaue Flecken davongetragen. Und auch das Schlauchboot, der Blasebalg und die anderen Sachen waren noch da. Erst da fielen mir die Schwimmwesten wieder ein.
    Liaquat, sagte ich. Deine

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