Im Meer schwimmen Krokodile
ihn betreten konnte, ohne groß aufzufallen, und kam zu dem Schluss, dass das über den Haupteingang nicht möglich war. Blieb noch der Hintereingang. Also drückte ich mich wie eine Eidechse an der Hauswand entlang und kroch wie eine Schlange unter einem Zaun durch. Dabei zog ich mir ein paar tiefe Kratzer am Bauch zu. Wie ein Gespenst betrat ich den Supermarkt, wobei ich mir die Unaufmerksamkeit eines Angestellten zunutze machte, der gerade Kartons mit Pausenriegeln auspackte. Als mein nackter Fuß die kalten, glatten Fliesen der Haushaltswarenabteilung berührte, hörte ich hinter einem Regal Stimmen, die mir bekannt vorkamen. Ich drehte vorsichtig den Kopf.
Rahmat, Hussein Alì und Soltan liefen durch die Gänge, gefolgt von den erstaunten Blicken einer blonden Verkäuferin.
Sie hatten nicht auf mich gehört – keine Ahnung, wie sie es geschafft hatten, vor mir hierherzukommen. Ich machte mich bemerkbar und gab ihnen ein Zeichen, so zu tun, als ob sie mich nicht kennen würden.
Jeder nahm sich etwas zu essen – aber keine Kleider, denn die wurden hier nicht verkauft. Die Leute starrten uns ungläubig an, wir mussten uns beeilen. Doch als wir gehen wollten, war der Hinterausgang verschlossen. Blieb nur noch der Haupteingang. Jetzt mussten wir rennen, und zwar schnell. Während wir den Gang mit den Kühlregalen, dann den mit den Hygieneartikeln und schließlich einen mit ich weiß nicht was nahmen, fragte ich mich, ob der Mann, der irgendwas auf Griechisch schrie, wohl der Inhaber war. Und ob dieser bereits zu seinem griechischen Telefon gegriffen hatte, um die griechische Polizei zu rufen. Wenn die drei Dummköpfe doch nur auf mich gewartet hätten! Dann hätte ich alles ganz anders gemacht, und zwar viel raffinierter. Doch so verließen wir den Laden und hatten gerade mal sieben Schritte auf dem Gehweg zurückgelegt – umgeben von Kindern, denen das Eis auf die Finger tropfte, von älteren Damen in silbernen Sandalen und von anderen schockierten Passanten (wobei ich bezweifle, dass Jungen in Unterhosen wirklich so ein schockierender Anblick sind) –, als uns auch schon genau wie im Film ein Polizeiauto den Weg abschnitt. Drei riesige Polizisten stiegen aus.
Ich hatte die Szene mit dem Polizeiauto noch gar nicht verdaut, als ich auch schon neben Hussein Alì auf dem Rücksitz saß.
Den anderen war es anscheinend gelungen abzuhauen.
Pakistani?
Nein.
Afghanen?
Nein.
Afghanen, da bin ich mir sicher. Verarschen kann ich mich auch alleine.
No afghans, no.
Von wegen no afghans no. Afghans yes, ihr kleinen Ratten! Ihr seid Afghanen, das rieche ich schon von Weitem.
Sie schleppten uns aufs Polizeirevier und sperrten uns in einen kleinen Raum. Wir hörten Schritte auf dem Flur und Stimmen, die etwas sagten, das wir nicht verstanden. Ich weiß noch, dass ich mich weniger vor Schlägen oder dem Gefängnis, sondern hauptsächlich davor fürchtete, dass sie unsere Fingerabdrücke nehmen würden. Von den Fingerabdrücken hatten mir einige Jungen erzählt, die in der Steinfabrik im Iran arbeiteten. In Griechenland, so erzählten sie, nehmen sie sofort deine Fingerabdrücke, wenn sie dich erwischt haben. Und danach bist du als Illegaler erledigt, denn dann kannst du in keinem anderen Land Europas mehr um Asyl bitten.
Also beschlossen Hussein Alì und ich, ihnen so richtig auf die Nerven zu gehen, damit sie uns davonjagten, bevor unsere Fingerabdrücke genommen wurden. Aber um davongejagt zu werden, muss man die Leute wirklich nerven können. Als Erstes begannen wir laut zu heulen und zu jammern, von wegen, wir hätten Bauchweh vor lauter Hunger. Daraufhin brachten uns die Polizisten trockene Kekse. Dann jammerten wir, dass wir aufs Klo müss ten. Toilette, Toilette!, riefen wir. Anschließend weinten, schrien und zeterten wir, bis es Nacht wurde. Nachts haben die Polizisten weniger Geduld, und wenn man Pech hat, wird man blutig geprügelt. Aber wenn man Glück hat, lassen sie einen laufen.
Wir gingen das Risiko ein und hatten Glück.
Es war schon fast Morgen, aber immer noch dunkel, als zwei Polizisten, die unser Geschrei satthatten, die Tür aufrissen und uns an den Ohren vors Revier zerrten. Wir sollten gefälligst dahin zurückkehren, wo wir hergekommen waren, riefen sie uns nach.
Der ganze Vormittag ging mit der Suche nach Soltan und Rahmat drauf. Wir fanden sie am Strand, außerhalb des Ortes. Aber als ich sie sah, konnte ich mich kaum freuen, weil ich mich gleich so darüber aufregte, dass sie es in der
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