Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
holt?«
Aber Gontas bemerkte, dass die beiden Städter inzwischen selbst ihr Amulett trugen.
Die Nacht war kalt, aber sie verstrich ereignislos.
Am nächsten Tag brachen sie wieder auf. Die Söldner trugen den Burnus über leichterer Kleidung. Tori beließ auch ihren Haken beim Gepäck. Sie ging in der Mitte des Zuges und schimpfte mit ihrem Dromedar, das sie »Meckes« genannte hatte – was im Jargon der Söldner, wie Gontas erfuhr, »Ziege« bedeutete.
Gegen Mittag legten sie eine längere Rast ein, und im Laufe des Nachmittags schloss Tori zu Gontas auf, bis sie schließlich fast neben ihm ging.
»Hm, warst forsch mit den Stadtputzern«, begann sie. »Und deine Leute haben Respekt vor dir. Bist ’n Brecher, du, was?«
»Was?«, fragte Gontas.
»Lässt dir von keinem was sagen.«
Gontas schüttelte den Kopf. »Ich bin Gontas, der Kriegshäuptling der Cefron. Ich habe mein Volk zum Sieg geführt. Ich war es, der für die Cefron stand, als die Stämme uns in den Bergen von Raib den ersten Platz im Rat zuerkannten. Von zwei Zeltwächtern in der Stadt lass ich mir jedenfalls nichts sagen.«
»Der Krieg der Buschleute«, sagte Tori. »Das ist jetzt drei Jahre her, hab ich gehört.«
»Zwei«, erwiderte Gontas. »Was sind zwei Jahre? Der Krieg hat dreißig gedauert … oder zwanzig, wer zählt das so genau?«
»Hm.« Tori lachte leise. »Die meisten hohen Kiers, die ich kenne, wissen genau, wie lang sie Krieg führen. Es gibt da zwei alte Familien von Khâl, die Meredi von Sârkhez und die Markentes von Arrapâ, die führen seit zweiundsiebzig Jahren Krieg und haben Generationen von Söldnern ernährt. Mitunter vergessen sie für Jahre das Kämpfen, aber sie vergessen nie, die Jahre zu zählen, die ihr Krieg schon dauert.« Sie zwinkerte Gontas zu. »Und jeder, der schon mal für sie gekämpft hat, vergisst das auch nicht, weil man die Zahl bei jeder Ansprache zu hören kriegt.«
»Die Buschläufer zählen nicht so viel«, sagte Gontas. »Aber sie kämpfen immerzu. Stammesfehden, kleine Raubzüge unter Freunden – keiner weiß genau, wann daraus der große Krieg geworden ist.
Ich war sechs, als die Cyriaten das Lager meiner Sippe überfielen. Meine Eltern starben, meine Geschwister, die meisten aus dem Lager. Ich war bei den Alten versteckt in den Kriechranken. Das ist mehr als zwanzig Jahre her, und keiner kann mir sagen, ob das schon zum Krieg gehörte oder nur ein zufälliges Scharmützel war.
Aber mein großer Krieg, der begann an diesem Tag. Es heißt, der alte Ochos musste mir auf den Kopf hauen, damit ich nicht zu den brennenden Zelten zurücklaufe und kämpfe.«
»Hm. Hm.« Tori suchte nach Worten. »Tut mir leid, du.«
Sie ließ ihr Tier zurückfallen. Die Lust an dem Gespräch war ihr wohl vergangen.
Aber Gontas winkte sie wieder heran. »Warum?«, fragte er. »Die Zeit der Trauer ist schon lange vorbei. Ich habe seitdem viele Sippen und Lager der Cyriaten überfallen, fast zwanzig Jahre lang. Was bedeutet da ein einziger Überfall, der uns getroffen hat?
So ein Überfall ist wie schäumender Akir. Ich habe es schnell gelernt. Wie ein großes Fest. Ich trage den Cyriaten nichts nach, wir haben ja Frieden geschlossen am Berge Raib. Als ich ein Kind war, haben sie gefeiert, und später war meistens ich es, der gefeiert hat. Ich bin in ihr Lager geschlichen, mit meinen Waffenbrüdern, und wir haben die Zelte der Cyriaten angezündet und ihre Krieger erschlagen. Ihre Frauen, die habe ich nie getötet. Ich glaube, die meisten meiner Söhne sind Cyriaten. Wie also könnte ich diesem Stamm etwas nachtragen?« Gontas lachte.
Tori sah ihn an. Sie wollte den Burnus zurechtziehen, aber mit der einen Hand musste sie das Packtier halten, und so konnte sie nur mit dem Stumpf über den Stoff streichen.
»Das war der große Krieg«, fuhr Gontas fort. »Zwanzig Jahre Kampf und Überfälle. Rausch und Schmerz und Lust und so viele Momente … lebendige Momente, neben denen die Welt dazwischen matt bleibt. Niemals Zeit für schwere Gedanken.
Als die Cyriaten um Frieden bettelten, da dachte ich, das wäre der Sieg, die große Freude. Stattdessen war es ein Palaver, ein bisschen trinken, viel herumsitzen. Jeder Zweikampf, in dem ich einen Feind mit meinen bloßen Händen erwürgen konnte, fühlte sich mehr nach einem Sieg an als dieser Rat am Raib.«
Gontas seufzte. »Am Ende, als der Friede geschlossen war, da schlugen manche vor, wir sollten ihn auf andere Weise feiern. In die Lande der Khâl ziehen, ihre
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