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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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zog er den Stuhl zum Tisch, lehnte sich vor, und stützte sich auf seine Unterarme. Wir saßen nun praktisch Kopf an Kopf, und er sah mir tief in die Augen. Mir wurde ganz mulmig im Bauch. Ich bot ihm das Brot an, das Marie für mich geschmiert hatte. Er verschlang mich geradezu mit seinen Augen. Ich spürte, wie Hitze in meine Wangen schoss. Als ich versuchte, seinem Blick auszuweichen, merkte ich, dass wir alle Aufmerksamkeit in der Mensa auf uns zogen. Mir verging augenblicklich der Appetit. Ich schob ihm das Tablett mit dem Worten zu: „Hast du wirklich keinen Hunger?“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Weißt du, dass du mich manchmal ganz schön verlegen machst?“
    „ Ich weiß – und es gefällt mir. Die roten Wangen stehen dir sehr gut“, sagte er leise und fügte lauter hinzu: „Wenn ich es mir recht überlege, sollte ich das Essen doch probieren. Wer weiß, vielleicht gehe ich nächstes Schuljahr auch in die Kantine.“
    Er zog das Tablett zu sich und aß, ohne mich aus den Augen zu lassen. Als er fertig war, bot ich ihm noch einmal mein Brot an. Lächelnd gab er zu, dass er bereits drei Stück in den Pausen vertilgt hatte.
    Anschließend legten wir uns auf die Wiese. Der starke Duft kitzelte meine Nase, als wäre das Gras frisch gemäht worden. Die Höhe der Halme ließ aber keinen Zweifel aufkommen, sie hatten bestimmt seit zwei Wochen keinen Rasenmäher gesehen. Ich versuchte mich auf Manuel zu konzentrieren, versuchte zu vergessen, was ich war. Wieder brachte er mich zum Lachen, und wieder fühlte ich mich glücklich, als hätte es das letzte Jahr nicht gegeben, als hätte er nie etwas in mir geweckt. Er war wieder der Alte, bis auf seinen Blick … bis auf seinen Körper.
    Zum ersten Mal an diesem Tag störte mich die Klingel wirklich. Es hatte gut getan, mit ihm Sonne zu tanken, und ich bedauerte, wieder in einen Klassenraum gehen zu müssen. Manuel begleitete mich bis zur Tür. Als ich ihn bat, mich nicht zu vergessen, schaute er mich fassungslos an. Ohne ein Wort schüttelte er den Kopf und ging zu seiner Klasse.
     

    Als ich um vier Uhr als Erste beim Roller war, neckte er mich.
    „ Hattest du tatsächlich Angst, ich könnte ohne dich wegfahren? Hast du dich herbeamen lassen, oder was?“
    „ Nein, es bestand keine Gefahr, mein Helm ist ohnehin an deinem Roller befestigt.“
    „ Klar, habe ich mit Absicht gemacht. Sonst hätte ich dich womöglich vergessen.“ Als er mir meinen Helm gab, flüsterte er: „Als ob ich das könnte.“
    Sein Atem an meinem Ohr brachte mich zum Erzittern. Ich beeilte mich, meine Jacke anzuziehen, damit er nicht merkte, was er schon wieder bei mir auslöste. Dann öffnete ich die Haarspange und schüttelte das Haar aus. Seine Hand glitt durch meine Mähne. Sein Blick durchbohrte mich.
    „ Bist du schön.“
    „ Sag das nicht! Du bringst mich ganz aus der Fassung. Vergiss nicht: Du bist NUR mein bester Freund. Außerdem lese ich es sowieso in deinen Augen“, fügte ich schelmisch hinzu.
    Als Antwort schenkte er mir sein schönstes Lächeln. Während er mit dem Roller beschäftigt war, drehte ich mich um, und stellte fest, dass uns etliche Schüler beobachteten. Wieder spürte ich, wie ich anfing zu glühen, und beeilte mich, das Erröten unter dem Helm zu verbergen. Auf dem Nachhauseweg bedauerte ich ein wenig, dass mein Kopfschutz mich daran hinderte, seinen Rücken an meiner Schläfe zu spüren. Froh, wieder einen Vorwand zu haben, ihn zu umarmen, schmiegte ich mich an ihn.
    Kaum zu Hause meldete sich der Hunger. Ich verschlang mein Brot, ehe ich mich umzog. Als ich am Spiegel vorbeihuschte, hielt ich irritiert inne: Mit Entsetzen stellte ich fest, dass ich einen Sonnenbrand hatte, und vor allen Dingen eine Menge Sommersprossen. Ich hatte nichts vom bronzenen Teint meiner Mutter geerbt. Selbst mein Vater und meine Schwester, beide blond, waren nicht so blass wie ich. Ausgerechnet ich musste etwas von meiner rothaarigen Großmutter väterlicherseits abbekommen. Im Winter störte mich das nicht. Anders im Sommer: Beim ersten Sonnenstrahl blühten die kleinen Fleckchen auf. Ich schlüpfte in eine Reithose und schmierte mein Gesicht mit einem Sunblocker ein, um den Schaden in Grenzen zu halten. Ich wechselte noch ein paar Worte mit Marie, als ich einen Apfel aus der Küche holte, und begab mich anschließend zum Pferdestall.
    Die Pferde waren bereits gesattelt, als ich ankam. Manuel sah mich verdutzt an: „Übst du für einen Wettlauf? Wie schnell bist du

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