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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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ganz andere Sorge
, hätte ich beinah gesagt.
    Wir saßen dann eine ganze Zeit beisammen, ohne ein Wort zu sagen. Nicht dass mich nichts beschäftigte, ganz im Gegenteil. Etwas interessierte mich brennend. Ich wusste nur nicht, wie ich es ansprechen sollte.
    „ Papa, ich möchte nicht indiskret sein, aber ich frage mich schon lange, ob du …, ob du schon eine andere …, ob du schon etwas …“
    „ … ob ich etwas mit einer anderen Frau hatte, seit deine Mutter gegangen ist?“, beendete er meine Frage. Dann stand er auf. „Erlaubst du, ich hole mir schnell ein Bier.“
    Ein Vorwand. Sicherlich versucht er, sich zu fangen. Wie konnte ich nur so etwas fragen? Ich hätte mich ohrfeigen können. Als er zurückkam, war ich total verlegen.
    „ Entschuldigung. Ich wollte nicht …“
    „ Nein, nein, das ist schon okay. Um deine Frage zu beantworten, ich hatte mit keiner Frau etwas in den letzten vier Jahren. Deine Mutter mag zwar ihre Macken gehabt haben, sie war aber eine außergewöhnliche Frau. Ich fürchte, keine andere kann ihr das Wasser reichen. Es gab schon Momente, in denen ich dachte, es wäre schön, wenn ich jemanden hätte, auch für Marie. Aber dann hatte ich immer wieder Bedenken, es würde nicht funktionieren. Irgendwie hoffe ich schon, dass ich eines Tages jemanden kennenlerne, ich bin aber nicht auf der Suche. Im Grunde genommen glaube ich nicht einmal, dass ich bereit bin für eine neue Beziehung. Und One-Night-Stands sind nichts für mich. Ich weiß nicht, es hat sich einfach nichts ergeben.“ Er schwieg, ein Lächeln zeichnete sich in sein Gesicht. „Sollte ich aber jemals eine Frau treffen, die mir wirklich gefällt, glaube ich nicht, dass ich es dir gleich erzählen werde. Du sagst mir ja auch nicht alles.“ Plötzlich wechselte er das Thema: „Was meinst du, sollen wir das Essen vorbereiten? Hast du Hunger?“
    „ Nicht so richtig.“
    „ Dann gibt’s Brot, ich habe zwei Baguettes mitgebracht. Kannst du den Tisch decken, ich gehe kurz zu Marie. Mal gucken, was sie macht, ich habe sie weggeschickt, als ich gesehen habe, dass du kommst.“
     

    Obwohl ich an diesem Abend überhaupt keine Lust auf Fernsehen hatte, wollte ich ihn nicht allein lassen. Nach all den Offenbarungen konnte ich das nicht. Ich fieberte dem Ende des Films entgegen. Als ich Papa gute Nacht sagte, fügte ich noch hinzu, dass ich ihn liebte – nur für den Fall, dass er es vergessen hatte. So etwas wird viel zu selten ausgesprochen.
    „ Ich liebe dich auch, mein Spatz. Gute Nacht, und vergiss nicht, dein Hemd zuzuknöpfen, nur für den Fall.“
    Ich konnte froh sein, einen Vater wie ihn zu haben, dachte ich in meinem Zimmer. Auf einmal plagten mich Gewissensbisse, schließlich verbarg ich was. Einerseits war ich mir sicher, er würde nicht wie Miguel reagieren. Andererseits wusste ich nicht, wie ich es ihm erzählen sollte. Ich konnte ja nicht einfach sagen,
Papa, die Frau, die du so geliebt hast, hat dich jahrelang angelogen beziehungsweise dir die Wahrheit verschwiegen. Sie war ein Panther … Und übrigens: Ich bin ein Löwe. Weißt du noch, ich habe euch das Leben gerettet.
Das Ganze klang zu absurd. Sollte er mir glauben – und um mein Leben fürchten –, wäre er in der Lage, mich einzusperren. Wenn nicht das, würde er mich statt zum Psychologen zum Psychiater schicken.
    Doktor Lacroix! Die hatte ich total vergessen. Nach dem Tod meiner Mutter war ich fast ein Jahr bei ihr in Behandlung gewesen. Ich verspürte nicht das mindeste Bedürfnis, da wieder hinzugehen. Was sollte ich ihr denn bloß sagen? Dass ich wieder Albträume hatte, seit ich wusste, dass ich ein Therianthrop war? Dass sich mein bester Freund womöglich bald in einen Wolf verwandeln würde? Um Gottes willen! Auf keinen Fall! Ich wollte nicht der Höhepunkt ihrer Karriere werden … oder schlimmer noch, in der Klapsmühle landen oder als Versuchskaninchen enden. Also blieb nur noch zu hoffen, dass ich mein Versprechen nicht zu schnell gegeben hatte. Ich betete, der Topas möge mir weitere Albträume ersparen.
    Meine Mutter ging mir auch nicht aus dem Kopf. Noch nie hatte mein Vater so über sie gesprochen, über ihre Schönheit, aber auch über ihre Macken. Sie hatte so viele erstaunliche und geheimnisvolle Facetten gehabt. Von Tag zu Tag konnte ich sie besser verstehen.
     

    Am nächsten Morgen betrat mein Vater mein Zimmer nicht. Vom Türrahmen her fragte er strahlend: „Gut geschlafen?“
    „ Sehr gut!“
    Als ich mich im Bett umdrehte

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