Im Morgengrauen
fragte er weiter: „Lilly … dürfte ich mal zusehen, wie du dich verwandelst?“
Ich war fassungslos: „Ist es das, worüber du so dringend mit mir sprechen wolltest?“
„ Nein, natürlich nicht. Ich mache mir Sorgen … um dich und deine Familie. Ich habe mir überlegt, ob wir meinen Bruder und seine Kumpel um Hilfe bitten sollten. Es wäre mir recht, wenn sie das Haus beobachten würden. Sie wollen Wölfe? Die sollen sie haben, solange sie sich nur an den Bösen vergreifen.“
„ Das ist nicht dein Ernst, oder?“
„ Jeremy hat so einen Hass gegen sie, ich bin mir sicher, ich kann ihn überzeugen. Vor allem, wenn er weiß, dass du nicht dazugehörst.“
„ Eben, deshalb macht er mir Angst. Du scheinst Manuel zu vergessen.“
„ Keineswegs! Wieso glaubst du, dass ich überhaupt mit dir darüber rede. Er dürfte sich natürlich nicht vor ihnen verwandeln und am besten gar nicht in die Nähe meines Bruders kommen.“
„ Sollte eine von uns in Gefahr sein, wäre er gar nicht mehr in der Lage, das zu kontrollieren. Wir können dieses Risiko nicht eingehen. Von dem abgesehen, bist du dir so sicher, dass dein Bruder nichts gegen Therianthropen hat? Ich nicht. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass er alle Gestaltwandler in einen Topf wirft.“
„ Um sicherzugehen, müsste ich das Thema ansprechen und sehen, wie er reagiert. Hast du nicht gesagt, dass Manuel eventuell morgen zurückfährt?“
„ Davon gehe ich aus. Nach dem, was passiert ist, werden seine Eltern nie zulassen, dass er länger hier bleibt. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn seine Mutter mich unter irgendeinem Vorwand zurückkommen ließe.“
„ Wenn du nach Hause musst, folge ich dir.“
„ Wo würdest du hingehen?“
„ Keine Ahnung! … Was sich ergibt: Jugendherberge, Camping … denn ein Hotel könnte ich mir nicht lange leisten, da du mich nicht arbeiten lässt.“
Es klang überhaupt nicht vorwurfsvoll, ganz im Gegenteil.
„ Du bist verrückt!“
„ Ich weiß … nach dir.“
Während er mich küsste, spürte ich etwas Hartes an seinem Hosenbund. Ich schob ihn ein Stück von mir weg, zog das T-Shirt hoch und starrte auf eine Waffe. Er musste Angst und Missfallen in meinem Blick erkannt haben, denn nun konnte er nicht schnell genug zu Manuel gehen.
Dieser schaute sich die Bilder an, die auf der Stereoanlage lagen. Sie hatten sich in der Zwischenzeit vermehrt. Yannick hatte die Abzüge vom Wasserfall entwickeln lassen. Ich näherte mich, um sie zu betrachten.
„ Du bist schön … sehr fotogen für jemanden, der sich nicht gerne ablichten lässt“, stellte Manuel fest. Er hielt gerade ein Bild in der Hand, das entstanden war, als Yannick an der Steilwand am Seil hing.
Obwohl er mir gerade ein Kompliment gemacht hatte, vernahm ich Wehmut in seiner Stimme. Wahrscheinlich bedauerte er, dass diese Bilder einen glücklichen Tag mit Yannick dokumentierten. Am liebsten hätte ich sie mir alle angesehen, ich wollte es aber nicht in seinem Beisein tun, also begab ich mich zu dem Tisch, auf dem Manuel unser Mittagessen gedeckt hatte.
„ Würdet ihr mir jetzt erzählen, was passiert ist, bevor ich euch nach Hause fahre?“, unterbrach Yannick das Schweigen.
Ich kam seiner Bitte nach. Manuel sagte kein Wort und beobachtete Yannicks Reaktionen. Erhoffte er sich, etwas Negatives in seinem Verhalten zu entdecken? Oder war er nur über dessen Aufgeschlossenheit verwundert? Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.
„ Wir sollten gehen“, schlug Yannick vor, als ich offensichtlich alles erzählt hatte.
Kaum war ich aufgestanden, bat er mich mit einer kleinen Handbewegung, das Zimmer zu verlassen. Ich machte ein paar Schritte im langen Flur, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde an der Tür horchen, was ich jedoch zugegebenermaßen tat, denn ich blieb nahe genug, um jedes Wort von Yannick zu vernehmen.
„ Ich wollte dir nur sagen, dass ich nicht von Lillys Seite weichen werde. Ich kann hier nicht Däumchen drehen, wenn ich sie in Gefahr weiß. Du wirst das sicherlich verstehen. Mir ist klar, dass du mich nicht magst, ich kann es sogar nachvollziehen. Trotzdem möchte ich nicht, dass wir uns bekriegen. Dein Feind ist draußen. Lilly zuliebe sollten wir uns zusammenreißen und uns zusammenschließen.“
Schweigen! Hatte sich Manuel überhaupt geäußert? Ich hatte jedenfalls nichts gehört. Schließlich holte Yannick die Sporttasche seines Bruders aus dem Nebenraum und wir verließen alle drei die
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