Im Morgengrauen
ich beachtete ihn nicht und hörte, wie Yannick sich entschuldigte. Obwohl leise auf dem Rasen, konnte ich bald seine Schritte vernehmen. Er holte mich ein, als ich bei der Schaukel ankam und mich hinsetzte.
„ Was ist denn in dich gefahren?“, warf er mir vor, stellte sich dabei vor mich und hielt die Seile der Schaukel fest.
„ Ich habe keine Lust, mir eure Predigten anzuhören. Und deine schon gar nicht. Machst du das etwa, um meinem Vater zu gefallen?“
„ Könntest du mir erstmal eine wichtige Frage beantworten?“
„ Schieß los!“
„ Willst du wirklich mit mir zusammenziehen?“
„ Du kennst bereits die Antwort.“
„ Dann verstehe ich dich nicht. Ich finde, diese Unterhaltung konnte nicht besser verlaufen. Natürlich möchte ich deinem Vater gefallen. Gerade wenn es um deine Zukunft geht, ist es mir wichtig, einen guten Eindruck auf ihn zu machen. Und eins sollten wir sofort klarstellen: Falls du mit mir zusammenlebst, werde ich zwar für dich da sein, um dir zu helfen, aber ich werde dir auch in den Hintern treten, wenn nötig. Ich möchte mir nicht irgendwann von deinem Vater anhören müssen, ich hätte dir deine Zukunft verbaut. Wenn du dein pubertäres Verhalten nicht änderst, kann das ja noch heiter werden. Bist du immer so zickig, wenn etwas nicht nach deinem Willen läuft?“
„ Nein, eigentlich nicht. Sorry.“
„ Entschuldige dich lieber bei deinem Vater. Ich bleibe ein bisschen hier. Ich könnte mir vorstellen, dass er lieber mit dir allein sprechen möchte. Und fang bitte keinen Streit an … und schon gar nicht meinetwegen. Setz lieber deinen Charme ein, okay?“, riet er mir mit einem Lächeln.
„ Okay. Ich versuch’s zumindest.“
Verlegen lief ich langsam zur Terrasse zurück.
„ Entschuldigung. Es kam mir wie eine Inquisition vor und …“
„ Irgendwie war das auch eine. Stell dir vor, ich möchte meine Tochter, die ich zehn Tage nicht gesehen habe, begrüßen und stoße dabei auf einen halbnackten Mann. Deine Großmutter hält ihn zwar für einen guten Jungen, für mich ist er aber ein Mann. Wie auch immer, ich sehe, wie ein halbnackter Fremder MEIN Badezimmer verlässt, in dem MEINE Tochter sich bestimmt in Evas Kostüm befindet, also werde ich ja wohl wissen dürfen, mit wem ich es zu tun habe. Vor allem wenn man bedenkt, dass dein Freund tätowiert ist, Bier trinkt, und ein Zuhälterauto fährt. Zumindest spricht es dafür, dass er ein Angeber ist.“
Ich spürte, wie meine Wangen, die zunächst aus Scham rot geworden waren, langsam vor Wut glühten. Innerlich kochend versuchte ich, mein Versprechen an Yannick zu halten: Ja nicht streiten.
„ Wenn man dich hört, könnte man meinen, dass er von Kopf bis Fuß tätowiert ist. Du wärst erstaunt, wenn du wüsstest, wie viele junge Leute sich heutzutage tätowieren lassen. Falls es dich beruhigt: Ich habe nicht vor, seinem Beispiel zu folgen. Was das Bier angeht, finde ich den Vorwurf schon unverfroren, wenn man bedenkt, dass du selbst eine Flasche in der Hand hältst.“
„ Du weißt ganz genau, dass ich nicht regelmäßig Alkohol trinke.“
„ Das ist genau der Punkt: Du urteilst über ihn, obwohl du ihn gar nicht kennst. Du siehst seine Tattoos, sein Bier, und schon ist er ein Säufer. Stell dir vor, in zehn Tagen ist es, soviel ich weiß, sein zweites, ansonsten hat er gerade mal ein Viertel Rotwein im Restaurant getrunken. In der Regel hält er sich an Wasser und Kaffee. Sollte er süchtig sein, dann nach Koffein, aber sicher nicht nach Alkohol. Und was den Wagen betrifft, bin ich echt platt, um nicht zu sagen schockiert“, langsam kam ich in Fahrt. „Er hat eine Schwäche für amerikanische Fahrzeuge. Ja und? Meines Wissens ist das kein Vergehen. Er ist kein Zuhälter, weil er einen Lincoln fährt, und gehört nicht zu den Hells Angels, bloß weil er eine Harley besitzt. Er finanziert tatsächlich seine teuren und exzentrischen Vorlieben mit seinem Körper, aber …“
„ Schon gut, Lilly, beruhige dich.“ Er nahm meine Hand. „Deine Großmutter hat mir gesagt, womit er seinen Lebensunterhalt finanziert. Ich wollte dich nicht verletzen, ich wollte dir nur erklären, wie ich mich gefühlt habe, als ich auf ihn gestoßen bin. Du wirst hoffentlich verstehen, dass der erste Eindruck nicht so toll war.“
„ Und der zweite?“
„ Besser“, zwinkerte er mir zu.
„ Dann gehe ich ihn holen“, meinte ich, während ich meine Tränen wegwischte.
„ Nein, lass ihn noch, wo er ist. Er wird sich
Weitere Kostenlose Bücher