Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
darum, inoffiziell zu sein.»
Doni verzog das Gesicht.
«Es gibt keine wahre und keine falsche Gerechtigkeit», sagte er.
«Wahre Gerechtigkeit ist die, in deren Namen ein Unschuldiger nicht einfach deshalb bestraft werden kann, weil bestimmte Mechanismen nicht greifen.»
«Mir scheint, Sie sind bereits davon überzeugt, dass Khaled unschuldig ist.»
«Allerdings.»
«Glauben Sie nicht, dass Sie ein wenig übertreiben?»
«Nein, das glaube ich nicht.» Sie legte ihre Hände auf den Tisch. «Und wenn Sie über alles im Bilde wären, würden Sie genauso denken.»
Sie waren fertig mit dem Essen, und die Kellnerin räumte das Geschirr ab. Doni bestellte einen Kaffee, Elena schüttelte den Kopf und wehrte mit der Hand ab, sie hatte schon welchen getrunken, und mehr als einen pro Tag vertrug sie nicht.
Dann schwiegen sie. Rings um sie her war Leben in die Bar gekommen, das Lokal war wie ausgewechselt. Drei Mädchen fotografierten sich gegenseitig mit ihrem iPhone. Eine Gruppe Angestellter debattierte über das letzte Spiel von Milan.
Die Kellnerin stellte eine Tasse auf den Tisch.
«Eines möchte ich doch noch wissen», sagte Doni. «Wie kommt es, dass Sie sich so sehr für diesen Fall interessieren?»
Sie zuckte mit den Schultern.
«Was soll ich sagen. Manche Geschichten haben es einem eben angetan.»
«Das ist alles?»
«Das ist alles», sagte sie kurz angebunden. «Und jetzt möchte ich etwas von Ihnen wissen. Wie kann man denn einen Menschen verurteilen, ohne sich absolut sicher zu sein, dass er schuldig ist?»
Normalerweise wäre Doni nach so einer Frage aufgestanden und gegangen. Doch stattdessen versuchte er – zu seiner eigenen Überraschung – eine konkrete, endgültige Antwort zu geben.
«Absolute Sicherheit ist die Sache Gottes, falls Sie an ihn glauben. Doch wir sind Menschen, und wir arbeiten wie Menschen. Ich glaube, Sie haben eine etwas verschobene Vorstellung davon, wie die Justiz funktioniert.» Doni wedelte mit dem Zuckertütchen und riss es auf. «Ein Prozess ist nicht dazu da, die Täter zu bestrafen, er ist in erster Linie dazu da festzustellen, wer diese Täter sind. Und es gibt gerade deshalb drei Instanzen, weil das Verfahren komplex und heikel ist und wir alle fehlbar sind. Glauben Sie mir, niemand im Justizpalast möchte, dass Khaled Ghezal verurteilt wird, falls er unschuldig sein sollte. Das garantiere ich Ihnen. Ich habe aus rein formellen Gründen Berufung eingelegt, und der Gedanke, einen Sündenbock für das arme Mädchen zu finden, das jetzt im Rollstuhl sitzt … Tja, der beschäftigt zwar die Öffentlichkeit, doch bestimmt keinen Staatsanwalt.»
Sie schien einen Augenblick nachzudenken. Dann sagte sie: «Ich verstehe. Doch wo trennen sich bei Ihnen Arbeit und Gewissen?»
«Gewissen? Was hat denn mein Gewissen damit zu tun? Ich habe Ihnen doch erklärt, dass wir uns einzig und allein auf Fakten stützen.»
«Ich weiß, aber trotzdem. Sie üben einen Beruf aus, Sie sind Staatsanwalt. Sie haben mit Recht und Gesetz zu tun, setzen wir beides der Einfachheit halber einmal gleich. Bis hierhin ist alles klar: Sie arbeiten, und wenn Sie mit der Arbeit fertig sind, gehen Sie nach Hause wie jeder andere auch. Allerdings … In Ihrem Beruf ist es damit nicht getan. Es ist ein bisschen wie in meinem, Dottore. Ich glaube, dass es dabei auch den Faktor des Gewissens gibt, weshalb man sich nicht darauf beschränken kann zu sagen, dass die Dinge nun mal so sind, wie sie sind. Wir hören nicht auf, Richter oder Journalist zu sein, wenn wir in unseren Pyjama schlüpfen – das ist zumindest meine Meinung. Und zwar, weil sowohl ich als auch Sie nach der Wahrheit suchen. Oder?»
Doni kratzte sich die Wange, dann schüttelte er zweimal den Kopf und lächelte.
«Sie sind sehr klug», sagte er. «Ihre Argumentation ist elegant und geistreich, das ehrt Sie in diesen Zeiten. Doch alles in allem ist sie auch idealistisch. Müssten wir sämtliche möglichen Verästelungen eines jeden Falles berücksichtigen und bei jedem Fall anfangen, den Privatdetektiv zu spielen, würden wir nur alle hundert Jahre ein Verfahren abschließen. Dabei beschweren sich die Leute jetzt schon, dass die Prozesse zu lange dauern.» Er lachte, Elena lachte nicht.
Wie im Film standen sie kurz darauf gleichzeitig auf, ohne das Thema noch einmal anzuschneiden. Doni zahlte, die Journalistin machte Anstalten, seine Rechnung zu übernehmen, doch er widersetzte sich galant.
Es hatte sich abgekühlt, die Straße war
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