Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
aufbrach. Das bin ich? Bin das da wirklich ich? Er versuchte sich zu beruhigen. Er würde diesen Ausflug jetzt beenden und damit auch diese ganze Farce.
Er ging noch einige Schritte. Heinekenflaschen lagen verstreut auf dem Boden. Dazu Papiermüll. Ganz in der Nähe fuhr pfeifend ein Zug vorbei, fast schon über den Dächern der Wohnhäuser. Die ganze ausgewogene Trostlosigkeit der Vorstadt.
Als er sich lächerlich genug fühlte, ging er zu Elena zurück. Sie telefonierte, brach jedoch ab, als er zu ihr kam.
«Wie wär’s mit einem Bier?», fragte sie und steckte ihr Telefon in die Tasche.
«Einem Bier?», fragte Doni.
«Ja. Wir könnten hier in den Bocciaklub gehen.»
Sie wies auf ein Gebäude hinter ihnen. Davor war eine Tankstelle, und auf der Freifläche stand ein Wagen mit Südamerikanern. Auf dem Autodach spielte ein Ghettoblaster aus den Achtzigern Dancemusic. Ein dicker Mann mit Basecap und einem Achselshirt, das über seinem Bauch spannte, tanzte neben dem Autofenster. Weiter hinten lag ein Gelände, das schwer einsehbar war und das Doni auch tatsächlich nicht bemerkt hatte. Einige Tische aus Plastik und Schmiedeeisen, ein Betonweg und ein Vordach, unter dem ein paar Rentner rauchten.
Die Worte kamen wie von selbst und waren das genaue Gegenteil dessen, was er dachte.
«Einverstanden», sagte er. «Gehen wir ein Bier trinken.»
19
DER ABEND WURDE langsam kühl, und Doni wollte lieber drinnen statt draußen sitzen. Die Einrichtung des Lokals wirkte wie aus den fünfziger Jahren herausgerissen. Ein großer Raum voller Resopaltische, ein Fernseher, zwei Billardtische und links ein Metalltresen. Die Kundschaft bestand fast ausschließlich aus alten Leuten. Ein kleiner, dünner Kellner ging mit einem Tablett vorbei.
Doni und Elena setzten sich in die Nähe der Billardtische und bestellten zwei Bier.
«Na, so was», sagte er.
«Gefällt es Ihnen?»
«Das erinnert mich an meine Kindheit, als ich die Sommer bei meinem Onkel auf dem Land verbrachte.»
Elena schaute sich lächelnd um. «Jedenfalls ist das hier was anderes als diese ganzen typischen Mailänder Scheißläden.»
«Bist du oft hier?»
«Manchmal, mit meiner Mitbewohnerin und ihren Freunden.»
«Aber das ist nicht gerade ein Treffpunkt für junge Leute.»
«Ich bin ja auch kein jugendlicher Typ. Eigentlich bin ich Journalistin. Ein armes Schwein, aber immer noch Journalistin. Und hier findet man viele Geschichten.»
Das Bier kam. Die Gläser waren nass und hatten fast keine Schaumkrone. Elena sah Doni von unten herauf an und fuhr mit dem Finger an ihrem Glas entlang.
«Haben Sie solche Geschichten schon mal aus erster Hand gehört?», fragte sie.
«Was für Geschichten?»
«Solche wie die von Khaled.»
«Natürlich. Allerdings unter offizielleren Umständen.»
«Und Sie hatten auch schon viele Fälle von Ausländerkriminalität.»
«Etliche.»
«Aber über die Einzelheiten ihres Lebens, über die Probleme der Einwanderer und so weiter wissen Sie nicht besonders viel.»
Verdutzt fuhr sich Doni mit der Hand über die rechte Wange.
«Ich bin kein Experte, wenn du das meinst.»
Elena senkte den Blick, als holte sie zum Angriff aus.
«Sie haben sie also verurteilt, ohne, sagen wir, einen Gesamtüberblick zu haben. Ohne genau zu wissen, wie sie leben, wo sie leben und so weiter …»
Doni schlug mit der Hand auf den Tisch. «Nein!», platzte es aus ihm heraus. Irgendwer im Lokal drehte sich nach ihnen um. «Nein», sagte er nochmals mit gedämpfter Stimme. «Solche Reden dulde ich nicht. Ich weiß, worauf du hinauswillst, und ich glaube, ich habe dir das schon erklärt. Ich fälle kein Urteil über ihr Leben. Ich fälle kein Urteil über sie . Ich beurteile nur ihre Taten, egal, ob sie Tunesier, Italiener oder Schweizer sind. Entschuldige, aber du redest wie die Kommunisten.»
Elena bedeutete ihm, sich zu beruhigen, was ihn nur noch mehr in Rage brachte. Es war genau die gleiche Geste, die Claudia vollführte, wenn sie bei Freunden zum Abendessen waren und er in seiner Art, die ihr zufolge dermaßen daneben war, in einer Diskussion dazwischenfunkte. Sie spreizte die Finger und senkte zwei-, dreimal die Handflächen.
«Ich weiß ja, dass Sie sich auf die Fakten beschränken», sagte Elena. «Ich meinte das nicht so.»
«Aber du hast es so gesagt.»
«Ja, es tut mir leid. Ich habe einen Fehler gemacht.»
«Und was meintest du sonst, wenn nicht das?»
Elena schnaufte.
«Nichts. Dass die Dinge eben komplizierter sind, als sie
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