Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
aussehen. Weiter nichts.»
Sie schwiegen eine Weile.
«Es tut mir leid, dass ich Sie verärgert habe», sagte Elena.
«Ich bin nicht verärgert. Aber bestimmte Reden vertrage ich nun mal nicht.»
«Sie haben ja recht.»
«Wie dem auch sei», sagte Doni und wechselte das Thema, «wenn wir nicht mit Mohamed sprechen können, sind wir genauso weit wie vorher.»
«Stimmt.»
«Yasminas Geschichte ist schlimm, aber das hilft uns auch nicht weiter. Uns muss interessieren, wo Khaled sich an dem besagten Abend aufgehalten hat.»
«Das kann nur Mohamed wissen.»
Doni nickte.
«Sie könnten sich dafür einsetzen, dass er unter Schutz gestellt wird», sagte Elena. «Doch es muss was Verlässliches sein. Oder dass er an einen sicheren Ort gebracht wird. Oder was weiß ich.»
«Ich kann nichts dergleichen tun.»
«Und was nun?»
Doni trank einen Schluck Bier und dachte nach.
«Zunächst einmal werde ich mich nach Khaleds Haftbedingungen erkundigen. Das dort ist eine Welt für sich, doch ich kann versuchen herauszubekommen, ob er tatsächlich misshandelt wird, wie seine Schwester behauptet. Was den Fall an sich betrifft, bleibt leider nichts mehr zu tun. Wenn Mohamed nicht reden will, können wir ihn auch nicht dazu zwingen. Außerdem haben wir keinerlei Gewissheit darüber, dass er was mit dieser Geschichte zu tun hat. Die Schwester könnte sich geirrt haben, oder es könnte auch Mohamed gewesen sein, der Khaled in diese Schwierigkeiten gebracht hat.»
«Das halte ich für unwahrscheinlich.»
«Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, und wir haben nichts in der Hand.»
«Und was nun?», fragte sie erneut.
«Das war’s, nehme ich an.»
Elena verzog das Gesicht. Doni fühlte sich wie befreit. Die Geschichte war ausgestanden, ein paar Tage romantischer Träumerei und ein kühnes Unternehmen um der alten Zeiten willen. Alles in allem hatte er sich recht mühelos aus der Affäre gezogen.
Plötzlich erschien ihm das Lokal noch gemütlicher: ein Ort, an den er vor vielen Jahren auch mit Colnaghi hätte gehen können, und eine Episode, die sich elegant in seine Vergangenheit einordnen ließ, sofort aufgelöst, ohne Flecken auf der Weste zu hinterlassen.
«Nehmen wir an, alles war so, wie seine Schwester sagt», beharrte Elena. «Was meinen Sie, warum hat Khaled Mohamed nie erwähnt?»
«Um ihn zu schützen. Doch die Frage ist: Wovor?»
«Genau. Und was weiter?», fragte Elena erneut.
«Nichts weiter, das habe ich doch schon gesagt.»
«Gut, aber wir haben eine wichtige Spur. Wir wissen, dass Khaled etwas verschwiegen hat.»
«Wir wissen noch nicht, ob sie wichtig ist, und wir wissen keineswegs, ob er das getan hat. Wir haben nichts als eine halbe Zeugenaussage.»
«Wir könnten seinen Anwalt bitten, ihn dazu zu befragen, auch wenn Yasmina das nicht will.»
«Wenn er bisher nichts gesagt hat, wird er auch weiterhin schweigen.»
«Er wird sich also verurteilen lassen, obwohl er unschuldig ist? Das ist doch absurd!»
«Elena, zum letzten Mal. Wir wissen nicht, ob er unschuldig ist. Denk an mein Motto: Ausnahmen ja, Fehler nie.»
«Doch falls er es ist …»
«Falls er es ist, lautet die Antwort ja. Er wird sich trotzdem verurteilen lassen.»
Elena umklammerte ihr Glas.
«Finden Sie das etwa richtig?»
«Das zu beantworten steht mir nicht zu. Wenn die Dinge so liegen und Khaled der Ansicht ist, schweigen zu müssen, so wird er seine Gründe dafür haben.»
«Aber Sie glauben doch an Recht und Gesetz.»
Doni blinzelte erstaunt.
«Natürlich. Was ist denn das für eine Frage?»
«Eine Frage eben. Was hat es denn für einen Sinn, Recht und Gesetz durchzusetzen, wenn die Voraussetzungen falsch sind? Was hat es für einen Sinn, seine Pflicht zu tun, wenn es nur eine formale Pflicht ist? Wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ein Mann sich als eine Bestie hinstellen lässt, nur um einen Freund zu schützen? Ich jedenfalls verstehe das nicht. Sie führen die Gesetze ins Feld, und Sie haben recht, doch Gesetze sind nicht alles, sie schützen nicht das ganze Leben, sie schützen nur einen Teil davon. Was hat es für einen Sinn, vor Millionen Menschen die Grenzen zu schließen, nur damit wir unsere Ruhe haben? Wir schützen nichts weiter als unsere Privilegien, und dann sagen wir, das sei eben der Lauf der Welt, der einzige Unterschied besteht darin, dass du in diesem oder in jenem Teil der Erde geboren bist, oder am Ende eben von einer Mailänder Tussi angezeigt wirst, die sich nicht einmal sicher
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