Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
wollte es Ihnen längst sagen. Sie haben für eine Lokalzeitung in Ancona einen Artikel über Borsellino geschrieben. Ich weiß nicht, wie Sie das geschafft haben, doch vermutlich ist es für einen Staatsanwalt nicht so schwer, auf die Seite eins einer Lokalzeitung zu kommen, jedenfalls war es ziemlich leicht, den Artikel im Netz zu finden. Er muss jemandem gefallen haben. Ich zitiere: Und besonders in solchen Fällen, in Situationen, in denen nicht nur Recht und Gesetz, sondern die gesamte Moral fundamental bedroht sind, treten Helden auf den Plan. Was für traurige Zeiten, in denen der Held jemand ist, der Recht sprechen soll und in einer Demokratie stirbt. Was für traurige Zeiten, in denen der Held ein ermordeter Richter ist. »
Doni staunte nicht schlecht.
«Du hast das auswendig gelernt?»
«Nur diese Sätze. Das ist ein guter Artikel, Dottore, aber gestatten Sie mir eine Bemerkung. Sie verlassen sich zu sehr auf Helden.»
Doni fühlte sich geschmeichelt, doch seine Besorgnis erhöhte sich um einen weiteren Grad. Er hatte diesen Artikel auf Anregung eines mit ihm befreundeten Journalisten geschrieben, und tatsächlich hatte er großen Anklang gefunden – er selbst hatte ihn in angenehmer Erinnerung, so dass er ihn auch in seiner Testament -Datei zitierte. Doch er hätte nicht gedacht, dass er im Internet zu finden war und Elena ihn lesen konnte.
«Inwiefern?», fragte er.
«Wie soll ich sagen, Sie glauben, es sei richtig, dass es Menschen wie Borsellino gibt, dem sie diesen Artikel gewidmet haben, Menschen, die es auf sich nehmen, für alle zu bezahlen. Ihrer Ansicht nach ist es also richtig, dass es viele schlechte Menschen gibt, viele halbwegs gute und einige hochanständige, die sich das Elend der anderen aufbürden und vor die Hunde gehen.»
«Das habe ich nie gesagt, und auch nicht gedacht.»
«Ich weiß, Dottore. Meiner Meinung nach steckt ihr Unterbewusstsein dahinter, es schlummert dort irgendwo in einem Winkel.»
«Mein Unterbewusstsein kenne ich ja wohl besser als du.»
Elena lächelte.
«Gerade das glaube ich nicht. Schließlich ist es unbewusst.»
In der Bar wurde es leerer, und bald würde Renato anfangen, die Stühle hochzustellen.
«Wie dem auch sei», fuhr Elena fort. «Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass diese Menschen, diese Helden, die Sie zu Recht lieben und preisen, mit den Waffen in den Kampf gezogen sind, die ihnen zur Verfügung standen. Leichten Waffen, Dottore. Niemand hat ihnen gesagt, es sei herrlich, die Verantwortung auf sich zu nehmen, und selbst wenn irgendwer das gesagt haben sollte, tja, dann war es wohl ein Heuchler. Und dennoch, was haben sie getan? Sie sind trotzdem in den Kampf gezogen. Sie waren aus Fleisch und Blut, und so sind sie gestorben, sie hatten nur leichte Waffen – die gleichen wie Sie oder ich. Intelligenz, Aufrichtigkeit, Opferbereitschaft und vor allem die Überzeugung, dass kämpfen immer noch besser ist als aufgeben, denn Leute, die aufgeben, hat es in diesem Land schon immer zu viele gegeben. Doch keiner der Helden war ein Heiliger, Dottore. Keiner von ihnen hatte Lust, so zu enden, glauben Sie mir. Keiner von ihnen wollte umgebracht werden.»
«Trotzdem war es ihr Schicksal, und sie haben sich ihm mit Würde gestellt.»
«O nein. Sie irren schon wieder. So heben Sie sie auf einen Sockel und wälzen die ganze Last auf sie ab: Ah, die da, die da, das sind Helden! » Elena fuchtelte mit der Hand. Ihr Gesicht war rot angelaufen. «Nein, die Antwort ist viel einfacher. Sie haben es getan, weil es richtig so war. Das ist alles. Ohne Großbuchstaben, ohne Abstraktionen.» Sie seufzte.
«Versetzen Sie sich in meine Lage. Ich habe keinen festen Job, ich bin eine Frau, ich habe kein Geld, und ich werde mich kaum noch irgendwie verbessern können. Trotzdem suche ich weiter nach der Wahrheit, solange ich kann. Warum?»
«Weil es richtig so ist?»
«Genau. Leichte Waffen, Dottore.»
Renato kam an den Tisch und kündigte an, dass er in zehn Minuten schließen werde. Elena nutzte die Gelegenheit, um ein kleines Bier zu bestellen. Renato sah sie schief an, doch sie ließ nicht locker, und so gab er schließlich nach. Sie trank ihr Glas in einem Zug aus. Auch Doni hätte gern noch etwas getrunken, verschob es aber auf den Abend, wenn er wieder zu Hause bei Claudia sein würde. Claudia. Wo sie wohl gerade war?
Sie traten auf die Straße hinaus. Zwei Tauben flogen mit einem Flügelschlag auf. Mailand: Da lag ihre Stadt, da war das Nest, das
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