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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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geistigen Auge sah er eine Statue in der Wüste, in tausend Stücke zerschlagen...
     
    Siobhan war nach Hause gefahren. Sie würde ihren Eltern helfen, sie vielleicht zum Bahnhof bringen, wenn sie das immer noch vorhatten. Rebus sah fern. Der rote Doppeldeckerbus war zerfetzt worden, sein Dach lag vor ihm auf der Straße. Und dennoch gab es Überlebende. Ein kleines Wunder, so schien es ihm. Sein erster Impuls war, die Flasche aufzumachen und sich ein Glas einzuschenken, aber bis jetzt hatte er ihm widerstanden. Augenzeugen erzählten ihre Geschichten. Der Premierminister war auf dem Weg in den Süden, nachdem er dem Außenminister die Verantwortung in Gleneagles übertragen hatte. Vor seiner Abreise hatte Blair, umgeben von seinen G8-Kollegen, eine Stellungnahme abgegeben. An Präsident Bushs Fingerknöcheln konnte man, wenn man genau hinschaute, die Heftpflaster erkennen. In den Nachrichten berichteten Leute, wie sie über Körperteile gekrochen waren, um aus den Zügen zu kommen. Durch Rauch und Blut hindurch. Manche hatten mithilfe ihrer Kamerahandys den Schrecken festgehalten. Rebus fragte sich, welcher Instinkt sie wohl dazu getrieben hatte, das zu tun, gleichsam als Kriegsberichterstatter zu fungieren.
    Die Flasche stand auf dem Kaminsims. Der Tee in seiner Hand war kalt. Drei üble Typen waren von einer oder mehreren unbekannten Personen zum Sterben bestimmt worden. Ben Webster war in den Tod gestürzt. Big Ger Cafferty und Gareth Tench machten sich kampfbereit. Rückt die Dinge ins rechte Licht – Siobhans Worte. Rebus war sich da nicht so sicher. Er wollte jetzt dringender denn je Antworten auf Fragen, wollte Gesichter und Namen haben. Gegen Vorkommnisse wie in London oder Selbstmordattentäter oder ein zufälliges Blutbad in dem Ausmaß, wie er es vor sich hatte, konnte er nichts ausrichten. Alles, was er tun konnte, war, hin und wieder ein paar Übeltäter einzulochen. Erfolge, die nichts am Gesamtbild zu ändern schienen. Eine andere Szene kam ihm in den Sinn: Mickey als Kind, vielleicht am Strand von Kirkcaldy oder in irgendwelchen Ferien in St. Andrews oder Blackpool, wie er aus feuchtem Sand verzweifelt einen kleinen Wall gegen das heranrollende Meer baute. Und arbeitete, als hinge sein Leben davon ab. Sein großer Bruder John auch; er häufte mit der kleinen Plastikschaufel den Sand auf, und Mickey klopfte ihn fest. Fünf, zehn Meter lang, vielleicht fünfzehn Zentimeter hoch … Aber die ersten Schaumspritzer waren schon da, bevor sie eine Chance hatten zu gewinnen, und sie mussten zusehen, wie ihr Bauwerk langsam eins mit seiner Umgebung wurde. Vor Wut schreiend, stampften sie mit den Füßen auf und erhoben ihre kleinen Fäuste gegen das gierige Wasser und den verräterischen Strand und den unbewegten Himmel.
    Und gegen Gott.
    Gott vor allem.
    Die Flasche schien größer zu werden, oder vielleicht wurde auch er kleiner. Er dachte an ein paar Zeilen aus einem Song von Jackie Leven: … but my boat is so small, and your sea is so immense. Immens, gut, aber warum musste es darin auch noch so viele verfluchte Haie geben?
    Als das Telefon klingelte, erwog er – ganze zehn Sekunden lang -, nicht ranzugehen. Es war Ellen Wylie.
    »Irgendwas Neues?«, fragte er. Dann lachte er kurz auf und fasste sich an die Nase. »Abgesehen vom Offensichtlichen meine ich.«
    »Allgemeiner Schockzustand«, berichtete sie. »So bald wird hier niemand mitkriegen, dass Sie das ganze Zeug fotokopiert und mit nach Hause genommen haben. Ich gehe davon aus, dass vor Ende dieser Woche niemand einen genaueren Blick auf irgendetwas werfen wird. Ich dachte, ich könnte vielleicht mal wieder in Torphichen vorbeischauen, sehen, was mein Team so treibt.«
    »Gute Idee.«
    »Das Londoner Kontingent wird nach Hause geschickt. Könnte sein, dass alle verfügbaren Kräfte gebraucht werden.«
    »Ich werde nicht Gewehr bei Fuß stehen.«
    »Übrigens scheinen selbst die Autonomen fassungslos zu sein. Aus Gleneagles war zu hören, dass alles still geworden ist. Viele von ihnen wollen nur noch nach Hause.«
    Rebus hatte sich von seinem Stuhl erhoben. Er stand jetzt am Kaminsims. »In Zeiten wie diesen möchte man bei seinen Lieben sein.«
    »John, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
    »Aber ja, Ellen.« Er fuhr mit einem Finger an der Flasche entlang. Es war ein Dewar’s, blassgoldfarben. »Fahren Sie zurück nach Torphichen.«
    »Möchten Sie, dass ich später mal vorbeikomme?«
    »Ich glaube, wir haben nicht viel zustande

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