Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass sie sich alle irgendwie ähnelten. Sie verhielten sich wie ein kleiner, eigener Clan, der mit dem Rest der Welt wenig zu schaffen hat. Außerdem hatten sie die ganze Woche über die Verantwortung für die Hauptstadt innegehabt – betrachteten sich selbst als Eroberer … unbesiegbar … allmächtig.
Seht an meine Werke …
Hatte Gareth Tench sich wirklich auch so gesehen? Rebus erschien dessen Selbstbild komplizierter. Tench hatte gewusst, dass er scheitern würde, es aber mit aller Entschiedenheit trotzdem versucht. Rebus hatte die geringe Chance erwogen, dass der Stadtrat ihr gesuchter Mörder war und die kleine Schreckensgalerie in Auchterarder seine »Werke«. Entschlossen, die Welt von ihren Monstern, zu denen auch Cafferty gehörte, zu befreien. Der Mord an Cyril Colliar hatte kurzfristig Cafferty ins Spiel gebracht. Eine schlampige Ermittlung hätte es vielleicht dabei belassen, mit Cafferty als Hauptverdächtigem. Tench hatte aber auch Trevor Guest gekannt … hatte dem Burschen geholfen und war dann in Wut geraten, als er auf einer Homepage nähere Einzelheiten über ihn erfuhr. Fand, dass er betrogen worden war …
Blieb nur noch der Schnelle Eddie Isley. Nichts, was Tench mit ihm verband, und Isley war das erste Opfer gewesen, das alles ins Rollen brachte. Und nun war Tench tot, und sie schickten sich an, Keith Carberry die Schuld dafür zu geben.
Mit wem haben Sie noch über Gareth Tench gesprochen?
Angeblich sind Sie hier doch der Kriminalbeamte …
Oder ein dürftiger Ersatz dafür. Nur um etwas zu tun, griff Rebus wieder nach seinem Glas. Die Tänzerinnen auf der Bühne wirkten gelangweilt. Sie hätten sich lieber unten zwischen die Gäste gemischt, wo Lohntüten in Mini-BHs und winzige Stringtangas geleert wurden. Rebus war sicher, dass es einen Dienstplan gab und sie auch ihre Chance bekamen. Mehr Männer drängten herein – Managertypen. Einer von ihnen wackelte zur dröhnenden Musik im Raum mit den Hüften. Er hatte etliche Kilo zu viel, und die Bewegungen passten nicht zu ihm. Aber niemand machte sich über ihn lustig: Genau darum ging es ja an einem Ort wie dem Nook. Es ging darum, Hemmungen abzulegen. Rebus musste unwillkürlich an die Siebziger denken, als die meisten Edinburgher Bars einen Mittagsstriptease angeboten hatten. Immer wenn die Tänzerinnen in ihre Richtung schauten, hatten die Gäste ihre Gesichter hinter ihren großen Gläsern versteckt. Diese Zurückhaltung war in den vergangenen Jahrzehnten restlos verschwunden. Die Geschäftsleute feuerten eine der Lapdancerinnen am Polizistentisch lautstark an, als sie mit ihrem erotischen Tanz begann, während ihr Auserwählter breitbeinig dasaß, die Hände auf den Knien, grinsend und mit schweißbedecktem Gesicht.
Molly stand neben Rebus. Er hatte nicht bemerkt, dass sie mit ihrer Nummer fertig war. »Ich brauche zwei Minuten, mir einen Mantel umzuhängen, dann treffen wir uns draußen.«
Er nickte geistesabwesend.
»Ich wüsste ja zu gerne, was Ihnen gerade durch den Kopf geht«, sagte sie, plötzlich neugierig geworden.
»Ich hab darüber nachgedacht, wie der Sex sich im Lauf der Jahre verändert hat. Früher waren wir eine so prüde Nation.«
»Und jetzt?«
Die Tänzerin ließ nur wenige Zentimeter vor der Nase ihres Auserwählten die Hüften kreisen.
»Jetzt«, sinnierte Rebus, »ist er … nun …«
»So öffentlich?«, schlug sie vor.
Er nickte zustimmend und stellte das leere Glas zurück auf den Tresen.
Sie bot ihm eine Zigarette an. In einen langen schwarzen Wollmantel gehüllt, lehnte sie an einer Außenwand des Nook, gerade weit genug von den Türstehern entfernt, dass Lauschen nicht möglich war.
»In der Wohnung rauchen Sie nicht«, bemerkte Rebus.
»Eric ist dagegen allergisch.«
»Genau wegen Eric wollte ich mit Ihnen sprechen.« Rebus starrte auf seine glühende Zigarettenspitze.
»Was ist mit ihm?« Sie scharrte mit den Füßen. Statt der Pfennigabsätze trug sie jetzt Turnschuhe.
»Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, dass er weiß, womit Sie Ihr Geld verdienen.«
»Und?«
Rebus zuckte die Achseln. »Ich will nicht, dass er verletzt wird, deshalb wäre es besser, Sie würden ihn verlassen.«
»Ihn verlassen?«
»Damit ich ihm nicht sagen muss, dass Sie ihm Insiderinformationen entlocken, die Sie anschließend brühwarm Ihrem Boss erzählen. Wissen Sie, ich habe eben mit Cafferty gesprochen, und da hat es plötzlich gefunkt. Er wusste Dinge,
Weitere Kostenlose Bücher