Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
die alle wieder im Bus sitzen.« Der Fahrer reichte Rebus zum Abschied die Hand. »War aber nett, mit Ihnen zu plaudern.«
»Ebenso«, sagte Rebus und erwiderte den festen Druck. Er sah dem Fahrer nach, wie er zur Tür ging. Zwei ältere Frauen gurrten und winkten, aber er gab vor, nichts zu bemerken. Rebus fand, ein weiteres kleines Glas Bitter wäre in Ordnung. Die zufällige Begegnung hatte ihn aufgemuntert, denn sie war ein Gruß aus einem anderen Leben, einer anderen Welt, die nahezu parallel zu der funktionierte, in der er lebte.
Das Gewöhnliche. Alltägliche. Eine Unterhaltung um ihrer selbst willen. Keine Suche nach Motiven oder Geheimnissen.
Normalität.
Die Frau hinterm Tresen stellte ein neues Glas vor ihn. »Jetzt sehen Sie etwas besser aus«, stellte sie fest. »Als Sie reinkamen, wusste ich nicht so recht, was ich von Ihnen halten sollte, ob Sie Streit vom Zaun brechen oder mir Kusshändchen zuwerfen würden.«
»Therapie«, erklärte er und hob sein Glas.
»Und was führt Sie nach Coldstream?«, forschte sein Gegenüber weiter.
»Ich bin vom CID, Lothian and Borders. Ich sammle Hintergrundinformationen über ein Mordopfer namens Trevor Guest. Er war ein Geordie, lebte aber vor ein paar Jahren hier in der Gegend.«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Könnte auch einen anderen Namen benutzt haben.« Rebus hielt ihr ein Foto von Guest hin, das um die Zeit seines Prozesses aufgenommen worden war. Sie starrte es mit zusammengekniffenen Augen an – brauchte eigentlich eine Brille, wollte es aber nicht wahrhaben. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Tut mir leid, Schätzchen«, sagte sie entschuldigend.
»Sonst jemand, dem ich es zeigen könnte?Vielleicht der Küchenchef …?«
Sie nahm ihm das Foto aus der Hand und verschwand hinter der Trennwand, wo mit Töpfen und Schüsseln geklappert wurde. Nach weniger als einer Minute war sie wieder da und gab ihm das Foto zurück.
»Fairerweise muss man sagen«, erklärte sie, »dass Rab erst seit letztem Herbst in der Stadt ist. Dieser Typ ist also ein Geordie? Warum ist er hierhergekommen?«
»Newcastle könnte für ihn zu heiß geworden sein«, antwortete Rebus. »Er stand nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes.« Jetzt sah er es überdeutlich – das, was Guest verändert hatte, war höchstwahrscheinlich in Newcastle selbst passiert. Wenn man auf der Flucht war, mied man vielleicht lieber die A1 – zu offensichtlich. Man konnte in Morpeth auf eine Straße abbiegen, die einen geradewegs hierher führte. »Vermutlich ist es zu viel verlangt«, sagte er, »wenn ich Sie bitte, sich an die Zeit vor vier oder fünf Jahren zu erinnern. Keine Serie von Einbruchdiebstählen in der Gegend?«
Sie schüttelte den Kopf. Ein paar Mitglieder der Reisegruppe waren mit einem Bestellzettel an die Bar gekommen.
»Drei kleine Lager, ein Lager-Limone – Arthur, erkundige dich mal, ob es ein kleines oder ein großes sein soll -, ein Ginger Ale, einmal Advocaat-Limo – frag sie, ob sie Eis in den Advocaat will, Arthur! Nein, warte, es sind zwei kleine Lager und ein Radler …«
Rebus leerte sein Glas und gab der Frau stumm zu verstehen, dass er wiederkommen würde. Und das meinte er ernst – wenn nicht auf dieser Fahrt, dann ein andermal. Heute mochte Trevor Guest ihn hierher gebracht haben, aber dann wäre es das Ram’s Head selbst. Erst als er draußen war, fiel ihm ein, dass er nicht nach Duncan Barclay gefragt hatte. Er schlenderte an ein paar Geschäften vorbei und hielt beim Zeitungshändler an, ging hinein und zeigte dem Mann das Foto von Trevor Guest. Ein Kopfschütteln des Besitzers, der noch hinzufügte, dass er sein ganzes Leben in der Stadt verbracht habe. Dann versuchte Rebus es bei ihm mit dem Namen Duncan Barclay. Diesmal erntete er ein Nicken.
»Ist aber vor ein paar Jahren weggezogen. Das tun ja viele von den jungen Leuten.«
»Eine Ahnung, wohin?«
Erneutes Kopfschütteln. Rebus bedankte sich und ging weiter. Es gab ein Lebensmittelgeschäft, aber da hatte er kein Glück – die junge Verkäuferin arbeitete nur samstags und meinte, am Montagmorgen hätte er vielleicht mehr Erfolg. So oder ähnlich verhielt es sich auf dieser Seite bis ans Ende der Straße. Antiquitätengeschäft, Frisör, Café, Secondhandladen für wohltätige Zwecke … Nur einmal noch traf er auf jemanden, der Duncan Barclay kannte.
»Sehe ihn noch manchmal hier.«
»Er ist also nicht weit weggezogen?«, fragte Rebus.
»Ich meine, nach Kelso …«
Eine Stadt weiter.
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