Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
ihn schon länger nicht mehr gesehen.«
»Seit Sie ihn haben abblitzen lassen?«
Sie funkelte Rebus an, der ergeben die Hände hob. »Einen Versuch ist es allemal wert«, gab er zu. »Wenn Sie möchten, kann ich ihn fragen.«
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Es stört Sie, stimmt’s?«
»Was?«
»Ich bin Detective Sergeant, Sie der Detective Inspector, und trotzdem hat Corbyn mir die Leitung der Ermittlungen übertragen.«
»Das juckt mich nicht.« Er versuchte, so zu klingen, als hätte diese Unterstellung ihn gekränkt.
»Ganz sicher? Wenn wir nämlich zusammen daran arbeiten …«
»Ich habe nur gefragt, ob Sie möchten, dass ich mit Brains spreche.« Jetzt merkte man ihm den Ärger an.
Siobhan löste die Arme und senkte den Kopf. »Entschuldigung, John.«
»Nur gut, dass Sie keinen Espresso getrunken haben«, war alles, was er darauf sagte.
»Ein freier Tag wäre nicht schlecht gewesen«, bemerkte Siobhan lächelnd.
»Na, Sie könnten ja jetzt immer noch nach Hause gehen und die Füße hochlegen.«
»Oder?«
»Oder wir könnten uns ein bisschen mit Mr. und Mrs. Jensen unterhalten.« Er wedelte mit einer Hand in Richtung Laptop. »Sehen, was sie uns über ihren kleinen Beitrag im World Wide Web erzählen können.«
Siobhan nickte langsam, während sie ihren Finger wieder in die Schlagsahne steckte. »Dann sollten wir vermutlich Letzteres tun«, sagte sie.
Die Jensens wohnten in einem weitläufigen vierstöckigen Haus mit Blick auf die Leith Links. Die Souterrainwohnung war das Reich von Tochter Vicky. Sie hatte einen eigenen Eingang, den man über ein paar Steinstufen erreichte. Am Tor zu diesen Stufen prangte ein Schloss, und die Fenster zu beiden Seiten der Tür waren vergittert, außerdem warnte ein Aufkleber potenzielle Eindringlinge vor einer Alarmanlage.
Vor Cyril Colliars Angriff war nichts von all dem für notwendig erachtet worden. Damals war Vicky eine fröhliche Achtzehnjährige gewesen, die am Napier College studierte. Heute, zehn Jahre später, lebte sie, soweit Rebus wusste, immer noch zu Hause. Er stand auf der Eingangsstufe und zögerte einen Moment.
»Diplomatie war noch nie meine Stärke«, erklärte er Siobhan.
»Dann lassen Sie mich den aktiven Part übernehmen.« Sie drückte den Klingelknopf.
Thomas Jensen nahm seine Lesebrille ab, als er die Tür öffnete. Er erkannte Rebus, und seine Augen weiteten sich.
»Was ist passiert?«
»Keine Sorge, Mr. Jensen«, beruhigte Siobhan ihn, während sie ihm ihre Dienstmarke zeigte. »Wir haben nur ein paar Fragen an Sie.«
»Sie versuchen immer noch, seinen Mörder zu finden?«, erkundigte sich Jensen. Er war mittelgroß, Anfang fünfzig, und sein Haar wurde an den Schläfen grau. Der rote Pullover mit V-Ausschnitt sah neu und teuer aus. Kaschmir vielleicht. »Warum, zum Teufel, glauben Sie, ich könnte Ihnen helfen wollen?«
»Wir interessieren uns für Ihre Website.«
Jensen runzelte die Stirn. »Das ist heutzutage üblich, wenn man eine Tierarztpraxis …«
»Nicht Ihre Online-Sprechstunde, Sir«, erklärte Rebus.
»Sexbestien-im-Visier«, ergänzte Siobhan.
»Ach so, das.« Jensen senkte den Blick und seufzte. »Dollys Lieblingsprojekt.«
»Dolly ist Ihre Frau?«
»Dorothy, ja.«
»Ist sie zu Hause, Mr. Jensen?«
Er schüttelte den Kopf. Sah an ihnen vorbei, als suchte er die Welt draußen nach einem Zeichen von ihr ab. »Sie ist zur Usher Hall gegangen.«
Rebus nickte, als erklärte das alles. »Die Sache ist die, Sir, wir haben ein kleines Problem …«
»Ja?«
»Es hat mit der Website zu tun.« Rebus deutete in Richtung Flur. »Könnten wir vielleicht reinkommen und mit Ihnen darüber sprechen …?«
Jensen schien nicht erfreut, aber die guten Manieren obsiegten. Er führte sie ins Wohnzimmer. Daneben lag das Esszimmer, dessen Tisch mit Zeitungen bedeckt war. »Ich verbringe den ganzen Sonntag damit, sie zu lesen«, erklärte Jensen, während er seine Brille in die Brusttasche steckte. Mit einer Geste forderte er sie auf, Platz zu nehmen. Siobhan ließ sich auf dem Sofa nieder, Jensen selbst in einem Sessel. Rebus dagegen blieb an der Glastür zum Esszimmer stehen und spähte auf die Ansammlung von Zeitungen. Nichts Ungewöhnliches … keine Artikel oder Abschnitte besonders markiert.
»Das Problem ist Folgendes, Mr. Jensen«, begann Siobhan in bedächtigem Ton. »Cyril Colliar ist tot, ebenso wie zwei andere Männer.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Und wir glauben,
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